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Sunday, 3. October 2010WasserBevor ich nach Taiwan aufgebrochen war, hatten viele Freunde versichert, dass sie mich bestimmt besuchen kommen würden. Ich habe mich über diese Absichtserklärungen gefreut, sie aber nicht allzu ernst genommen. Der gute Wille ist das eine, die Hürden Zeit und Geld und das Überwinden des Alltagstrotts das andere. Nachdem im Laufe des Jahres schon drei Freunde hier gewesen waren, dachte ich mein Besuchsguthaben sei erschöpft. Da schrieb ein Freund, er wolle seine lange gehegten Besuchspläne nun endlich verwirklichen. Kurz darauf meldete sich eine andere Freundin und sagte, auch sie wolle mich besuchen kommen. Im nächsten Gespräch wurde ein dritter Freund mit eingeplant. Schließlich meldete sich noch ein vierter bei mir – ob er denn auch mitkommen dürfe? Für Begeisterung gilt dasselbe wie für die Freude – in geteilter Form erst wächst sie zu ihrer vollen Größe heran. Wie euch treuen Lesern inzwischen bekannt sein dürfte, begeistert mich diese Insel und ich teile diese Begeisterung auch sehr gerne mit anderen. Ich freute mich also nicht nur darauf, so viele meiner Freunde endlich wieder zu sehen, sondern auch darauf, Taiwan durch ihre Augen neu zu entdecken und ihnen allen vieren unterdessen zumindest ein Fünkchen meines Enthusiasmus einzupflanzen. In der goldenen Schlucht bei Sanzhan
Auch das Wandern im Regen hat seinen ganz eigenen Charme. Hier in Zhiben. Wir fanden aber auch dampfende Quellen, die unsere vom Regenwandern beanspruchten Muskeln aufwärmten und entspannten. Wir fanden Wasserfälle klein und groß, die sich als schmaler Strahl auf direktem Weg tief ins Tal herabstürzten oder im Wald versteckt als wuchtige Kraft elefantengroße Felsen umspülten. Im ältesten Teehaus Taipeis entdeckten wir die Ruhe, die in ein paar Blättchen Tee und jeder Menge kochendem Wasser liegt. Selbst die ersehnten türkisen Wasserläufe haben wir am Ende gefunden und ausgiebig erkundet, eine Freude die allerdings für manch einen von der unermüdlichen Beteuerung unseres Flussguides getrübt wurde, den schönsten Teil des Flusses bekämen wir heute gar nicht zu sehen. Links der Normalzustand (Taroko), rechts der Taifunzustand (Zhiben) Ansonsten tat ich mein allerbestes, um die vier in die Vielfalt der in Taiwan vorhandenen Küchen einzuführen. Um das in knapp zwei Wochen bewerkstelligen zu können, schlemmten wir am laufenden Band. Scharfer Hotpot und scharfe Szechuan Küche, Auberginenberge, Austernomelettes, mit Algen umwickelte Reistaschen, Reisbrei mit Trockenfleischfasern, Eis aus roten Bohnen, süße Bohnensuppe, Wasserspinat mit Knoblauch, Gongbao Hähnchen, Schweineblutkuchen, Suppe mit Entenblut, Sojamilch mit und ohne frittierte Youtiao, Tofu von „stinky“ bis getrocknet, frische Muscheln und Krabben (für manch einen zum ersten Mal), jede Menge Fisch, tropisches Obst von Mangos über Pomelos bis Buddhaköpfe, und natürlich Teig- und Nudeltaschen bis zum Abwinken: Baozi, Mantou, Shuijiao, Hundun, Xiaolongbao… Die Mutigeren haben sich schließlich noch tapfer durch das Labyrinth der hier beliebten Eistee-Sorten, wahlweise auch mit Stärkebobbeln, Wackelpudding, Süßkartoffelgelee und ähnlichem darin, geschlagen. Beim Essen, natürlich. Dieses Mal sind es Din Tai Fung Nudeltaschen. Selbstverständlich haben wir nicht nur gegessen, sondern haben neben Wandern und Schwimmen auch alles andere unternommen, was man als ordentlicher Tourist in Taiwan so anzustellen hat – darunter Besuch des Nationalen Palastmuseums, einer Karaokebar, einer taiwanesischen Oper, Besuche zahlreicher Tempel, eines Fußmassageladens, mehrerer Nachtmärkte. Selbst das besonders bei ausländischen Studenten beliebte 7-11-Lotto haben wir gespielt – bei dem in jeder Filiale besagter Ladenkette, die zufällig am Wegrand liegt, ein Bier konsumiert werden muss. Erst so wird einem richtig bewusst, wie allgegenwärtig diese Läden sind. Nicht nur ich habe jedoch in eine Kultur eingeführt, auch die vier haben es geschafft, mich mit Skat und Bier und Ironie für zwei Wochen in die deutsche Lebenswelt zurückzuversetzen. In einem wunderschönen Restaurant direkt am stimmungsvoll beleuchteten Flussufer in Xindian haben wir schließlich das hier gängige deutsche Stereotyp vervollständigt: wir haben zusammen eine überraschend leckere Schweinshaxe gegessen. Für vier von uns fünfen übrigens die erste unseres Lebens. Liebe Grüße in die Welt hinaus, dazu ein ganz besonders lieber Gruß an Christine, Christoph, Emanuel und Roland! Kerstin Am Rande: In Sanzhan, einer kleinen Siedlung taiwanesischer Ureinwohner an der Ostküste der Insel, übernachteten wir in einem Gästehaus, von einem älteren Ehepaar betreut. Selig erzählt der Mann von früher, jedes Jahr sei er mit seinem Motorrad zwei Wochen lang um ganz Taiwan gefahren. Er kenne jede Straße der Insel, sogar noch aus der Zeit, in der es nur Schotterpisten gab. Damals habe er in einer Kleidungsfabrik gearbeitet, deren Maschinen allesamt aus Deutschland und der Schweiz kamen. Besonders lustig seien die deutschen Ingenieure gewesen, die manchmal zu Besuch kamen. Sie seien sehr fleißig gewesen, hätten Tag und Nacht gearbeitet. Sehr dick seien sie auch gewesen, und das, obwohl sie mittags nichts gegessen hätten, nur Taiwan Bier getrunken. Unser Gastgeber kann sein Lachen nicht mehr zurückhalten, als er schließlich pantomimisch darstellt, wie sehr die deutschen Bierbäuche im Weg gewesen seien, als unten an den Maschinen Einstellungen nötig wurden.
Ruhe im Teehaus (Wistaria) und Suche nach Abkühlung Lnks Taroko Schlucht, Rechts Tal der Puppen bei Wulai
Der Regen ermöglichte einen frischen Blick auf Altbekanntes In den berühmten heissen Quellen von Zhiben. Erholung nach einer Regenwanderung Links Residenz Chiang Kaisheks in Taipei, Rechts Sanzhan bei Hualien Nahe Wulai Auch unsere Reise glich einem Fluss - wir ließen uns treiben, begegneten der ein oder anderen Turbulenz. Spätestens beim Essen war aber alles wieder in Ordnung... Goldene Schlucht bei Sanzhan
Wednesday, 25. August 2010NabelschauErst wochenlang gar kein Lebenszeichen und dann gleich zwei Beiträge kurz hintereinander, tststs. Dafür geht es in diesem Eintrag um das Vertraute anstatt um das Fremde. Keine Angst, es soll nicht mein eigener kleiner Nabel fokussiert werden. Vielmehr unser aller Nabel, oder zumindest der Nabel der allermeisten Leser dieses Blogs. Ich möchte euch mitnehmen auf eine kleine Stippvisite zu Taipeis Stammtischen und Supermärkten, auf der Suche nach einem Spiegelbild Deutschlands. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage: Was ist Deutschland, aus der Perspektive Taipeis? Aus dem 7-11, dem Quasi-Tankstellenladen, den es an jeder Ecke gibt. An jeder Ecke zweimal gibt. Natürlich, wie wohl überall auf der Welt heißt hier Deutschland auch Autos und Bier und Würstchen. Autos! Ich kann inzwischen schon nicht mehr zählen, mit wie vielen Taxifahrern ich mich schon über die Vorteile von Mercedes, Audi und co. unterhalten habe. Wie oft ich die Frage (mehr schlecht als recht) beantwortet habe, was so ein Auto denn in Deutschland koste. Wie oft ich mich schon über Autobahnen unterhalten habe (und über die Panzer darauf, siehe Eintrag zum Wilden Osten). Die Begeisterung für deutsche Technik im Allgemeinen ist hier groß, was sich in der Praxis nicht nur in der Anzahl der deutschen Autos zeigt (auffallend hoch), sondern z.B. auch in den Zügen der Taipeier U-Bahn, in denen jeweils eine goldene Siemens-Plakette prangt. Bier! Zwar ist belgisches Bier hier beliebter, Erdinger, Warsteiner vom Faß und sogar Astra sind in Taipei dennoch nicht nur in Studentenkneipen allgegenwärtig. Zudem ist Bier ein integraler Teil des hiesigen Deutschlandbilds. Möchte ich als Repräsentantin dieses Bilds einmal kein Bier trinken, werde ich schief angeschaut. Wie schon einmal erwähnt, eine Flasche Bier ohne Öffner öffnen zu können zählt hier (wie auch bei meinen amerikanischen Freunden) als genialer Zirkustrick, der allerdings von mir als Deutsche auch nicht anders erwartet wird. (Siehe Eintrag Bieridentitäten) Würstchen! Original Deutsche Würstchen gibt es hier, einzeln eingeschweißt, an jeder Ecke. Allerdings denkt man hier beim Stichwort deutsches Essen eher an Schweinshaxen, oder Schweinefüße, wie sie genannt werden. Die dürfen in keinem deutschen Restaurant in Taipei fehlen - wie auch in keiner Reise eines Taiwanesen nach Deutschland. Ich kann jede gesellige Runde in Taipei erheitern, indem ich nebenbei fallen lasse, dass ich noch nie Schweinshaxen gegessen habe. Erstaunen kann ich dagegen viele Menschen hier, wenn ich erzähle, dass in Deutschland auch Reis gegessen wird. Das können sich viele Menschen hier nicht vorstellen, da sie wissen, dass Brot der Reis des Westens ist. Dass wir neben Brot auch Kartoffeln essen, finden die meisten noch logisch. Bei Nudeln wird der Gedanke schon etwas schwieriger, aber Reis? Das Monopolprodukt des Ostens zu Schweinshaxen?! Unter diesem deutschen täglich Brot stellen sich die meisten Menschen hier im Übrigen das vor, was hier unter Brot läuft: süßes Hefegebäck, häufig mit einer süßen Paste aus roten Bohnen oder Pudding gefüllt. Inzwischen gibt es zu meiner großen Freude ein, zwei richtige deutsche Bäcker in Taipei. Die meisten Taiwanesen finden das Brot dort aber viel zu sauer und vor allem viel zu knusprig – Brot hat gefälligst weich zu sein. Ein deutscher Bäcker hier erzählte, wie sich seine Kunden bei ihm beschwerten: sie bekämen vom Brotessen Muskelkalter im Kiefer. So viel zum traditionellen Bild von Deutschland. Auch wenn das Bild von Deutschland als Land der Lederhosen, Maßkrüge und gebratener Fleischberge durchaus noch verbreitet ist, zeigt sich in längeren Gesprächen mit den Menschen hier ein differenzierteres Bild, das vom Rechtssystem bis zum Umweltschutz viele verschiedene Aspekte beinhaltet. Setzten wir also unsere Shoppingtour und Spurensuche fort. Neben Autos kommt auch viel Umweltschutztechnologie in Taiwan aus Deutschland – bis hin zu den Energiesparlampen im Supermarkt. Auch angesorochen worden bin ich darauf schon oft, Deutschland als Land der grünen Technologie. Dazu zählen auch Nahrungsmittel. Noch häufiger als deutsches Bier ist in Taipei nur eines: deutsches Malzbier. Es wird hier vermarktet als besonders gesundes und natürliches Qualitätsprodukt und ist in so gut wie jedem Restaurant und jedem Supermarkt zu haben. Als ich gleich nach meiner Ankunft in Taiwan zu meiner früheren Gastfamilie in Tainan gefahren bin, haben sie mir in einem Plastikbecher ein neues Getränk zum probieren gegeben, ganz gesund und toll sei es. Sie würden mir aber erst nach dem Probieren sagen, was es sei. Das machte mich aus Erfahrung mit eben jener Familie ziemlich misstrauisch, ich vermutete in der dunklen Brühe Schweineblut, Schlangenschnaps oder Ähnliches. Probiert habe ich trotzdem und mich sehr gefreut. Als ich die dazugehörige Dose untersuchen durfte, habe ich hinten das made in Germany entdeckt, das meiner Gastfamilie entgangen war.
Malzbier -und Schumi-Wasser Bio ist ganz allgemein auch in Taiwan in. Da die deutschen Ökorichtlinien hier als besonders streng bekannt sind, wird vieles aus Deutschland importiert, wo natürlich oder ökologisch drauf steht. Das fängt bei einfachen Dingen wie Mineralwasser an, geht über Müsli (in meinem Supermarkt kommt säntliches Müsli aus der Schweiz und aus Deutschland) und Joghurt (leider bis jetzt kein Naturjoghurt sondern nur süßer Früchtegut… aber kann ja noch werden. Auf, ihr Geschäftsmänner!) bis hin zu Vitamintabletten und Tees. Letzteres finde ich besonders interessant… Kräutertees sind im Ausland häufig schwer zu bekommen, das habe ich schon des Öfteren erfahren müssen, daher freue ich mich sehr über den derzeitigen Trend. Allerdings werden nicht nur Kräutertees, sondern auch Schwarz- und sogar Grüntees importiert. Original aus Deutschland! Ich frage mich allerdings, wo dieser deutsche Grüntee wohl angebaut wird…? In der Apotheke Ein weiterer für mich überraschender Exportschlager sind deutsche Brettspiele. Brettspiele sind hier unter Jugendlichen zur Zeit der Hit schlechthin, es gibt sogar extra Brettspielcafés, in denen sich die Spielfreunde treffen können. Und die Spiele kommen zum überwiegenden Teil aus Deutschland. Ich bin schon einige Male von jungen Taiwanesen angesprochen worden: „Du bist aus Deutschland?? Wahnsinn! Könntest du mir vielleicht diese Spielanleitung übersetzen? Ich versuche schon so lange, dieses Spiel zu spielen!“ Nicht alle Produkte werden so direkt importiert wie die Brettspiele: Deutsche Produkte werden auch gerne mal an den heimischen Markt angepasst. Ein Beispiel: Hier enthalten so gut wie alle Hautcremes Bleichungsmittel, weil weiße Haut als besonders schön gilt. Auch Nivea schließt sich da an – selbst beim Deo. Und: Der deutsche Bäcker verkauft inzwischen (leider) weiches Brot. So viel zu meiner kleinen, nicht abschließenden Waren- und Vorurteilskunde. Im nächsten Blogeintrag wird es wieder um das Gegenteil gehen, um den deutschen Blick auf Taiwan. Diesmal jedoch nicht nur mein persönlicher, enger Blick: ich bekomme heute Verstärkung aus Deutschland! Nicht nur ein, sondern gleich vier liebe Menschen kommen mich besuchen, um mit mir zusammen Taiwan zu bestaunen! Liebe Grüße an alle, Kerstin PS. Wer Chinesisch lesen kann oder nur mal sehen möchte, wie das so aussieht, der kann meinen Artikel in unserer Unizeitung lesen. Es geht um – keine Überraschung für die, die mich kennen – Schiller und seinen Schädel.
Am Rande: Passt nicht so zur Shoppingtour, daher an dieser Stelle: ich habe schon viele Menschen getroffen, die davon ausgehen, dass es in Deutschland immer kalt ist. Wenn ich ihnen erzähle, dass wir im Sommer auch mal über dreißig Grad haben, ist das fast genau so ein großer Schock wie die Sache mit dem Reisessen. Oder wie wenn ich in Deutschland erzähle, dass Taiwanesen auch Brot essen und Kaffee trinken.
Das Reformhaus - So schick sind die in Deutschland aber nicht! Dazu die Energiesparlampen, wie daheim.
Deutsche Restaurants und Cafés heissen hier Goethe, Schwarzwald, Oma Ursel oder auch zum Faß. Wozu also noch Heimweh bekommen wo das Vertraute doch so nah liegt? Teekarte in einem meiner Lieblingscafés... selbst der Grüntee stammt nicht nur in diesem Lokal aus Deutschland. Vollkommen willkürliche deutsche Schilder auf Kneipentoiletten. Keine von beiden ist deutsch oder heisst auch nur annähernd was mit "Ratskeller". Tuesday, 24. August 2010Die Geister sind los!Laufe ich die Tage durch Taipei, ist der Geruch von Weihrauch allgegenwärtig. An jeder Ecke steht jemand an einer brennenden Metalltonne und verbrennt eine Handvoll Papiergeld nach der anderen. Auf jedem noch so kleinen Hausaltar drinnen in den Wohnzimmern sowie auf jedem noch so improvisiertem Altartisch draußen auf dem Gehweg türmen sich Berge von Obst. Abends ist es erst besonders laut, weil Festmahle mit lautstarker musikalischer Begleitung in den Gassen stattfinden, danach jedoch gespenstisch leise. Es sind weniger Menschen auf den Straßen als sonst, Fenster und Türen sind verschlossen. Opfergaben im Longshan Tempel, Taipei Die meisten Menschen, mit denen ich hier über Geister gesprochen haben, haben ein sehr pragmatisches Verhältnis zu diesen. Wer weiß schon sicher, ob es sie gibt (wobei fast jeder hier auch die ein oder andere selbsterlebte oder zumindest selbstgehörte Geschichte dazu erzählen kann), aber man ist lieber mal auf der sicheren Seite. Schon Konfuzius sagte: „Ehre die Götter als gäbe es sie.“ Und so werden die vielen hungrigen Geister in diesem Monat mit Unmengen an Obst und Keksen zufrieden und milde gestimmt. Für weitere Bedürfnisse der Verstorbenen dient Feuer als direkter Postweg in die Unterwelt. Meistens wird der Einfachkeit halber auf diesem Wege Geistergeld zu den Ahnen gesandt, manchmal sind es aber auch papierene Häuser, Autos und was man sonst noch so alles für ein bequemes Leben im Jenseits benötigt. Im Geistermonat werden wie auch mit dem Essen neben den eigenen Ahnen auch die heimatlosen Seelen bedacht. Ich glaube, in den größeren Städten ist das aus Umwelt- und Gesundheitsschutzgründen inzwischen illegal, aber so richtig scheint das niemanden zu interessieren. Und das, obwohl die Regierung sich wirklich sehr bemüht, Alternativen zu bieten. Viele Bürger Taipeis nutzen beispielsweise inzwischen das Angebot, ihr Geistergeld in den staatlichen Müllverbrennungsanlagen verbrennen zu lassen – einige tausend Tonnen Geld werden so in jedem Geistermonat von der Müllabfuhr eingesammelt und zentral verbrannt. Andere Bürger nutzen einen besonders umweltfreundlichen Dienst der Stadt: die Online-Geistergeld-Verbrennung. Andere vorgeschlagene Ideen, wie eine Geistkreditkarte oder Geisterschecks, finden meines Wissens dagegen bisher wenig Beifall. Eine Frau beim Verbrennen von Geistergeld am Straßenrand. Für ganz andere Bedürfnisse der „guten Brüder“, wie die Geister auch genannt werden um diese nicht zu beleidigen, wird auch gesorgt. Im restlichen Jahr laufen gerne einmal DVDs in einem ansonsten leeren Tempel, als Entertainment für die guten Brüder. Im Geistermonat muss das allerdings überboten werden - mit Liveshows, die neben Moderation und Musik häufig auch Stripshows enthalten. Geister sind scheinbar auch nur (männliche?) Menschen. Meine Nachbarschaft hat vor ein paar Tagen anlässlich des Geistermonats ein riesiges traditionelles Fest draußen in den Gassen veranstaltet. Pudu, „universelle Erlösung“, nennt sich das. Alle Götter der umliegenden kleinen Tempel und Hausaltare wurden nachmittags zusammengetragen und gemeinsam angebetet, abends gab es dann ein riesiges Bankett. Ein Festmahl zu Ehren der Geister, zugleich auch ein Fest für die ganze Nachbarschaft, die ganze Familie. Viele runde Tische bedeckt mit glücksbringenden roten Tischdecken drängten sich in den engen Gassen, darauf glücksbringendes rosa Pappgeschirr. Auf einer großen Bühne mit blinkender Neondekoration wurde abwechselnd mikrofonverstärkt gesungen, Musikvideo mäßig getanzt sowie versucht, Geld für das Fest und für die Geister aufzutreiben. Eine der Sängerinnen trug dabei durchgehend nicht mehr als einen Hauch von Glitzerbikini. Anderswo, habe ich mir sagen lassen, werde auch gestrippt oder an der Stange getanzt. "Pudu", Fest zur universellen Erlösung, in der Mitte des Geistermonats in meiner Nachbarschaft So fröhlich diese Feiern auch sein mögen, mit den Geistern ist nicht zu spaßen. Auch wenn sie einen Monat Ausgang haben und daher fröhlich sein könnten, sind sie eben im Grunde doch unzufriedene Seelen, die den Lebenden nicht unbedingt das Beste wünschen. Man behandelt die Geister also respektvoll, versucht ansonsten aber, möglichst weit von ihnen entfernt zu bleiben. Das heißt, man vermeidet im siebten Monat am besten alle Aktivitäten, die Geister anziehen könnten (bis auf Opfergaben natürlich), sowie alle Orte, an denen sich Geister gerne aufhalten. Aus diesem Grund ist es ziemlich dumm, in dieser Zeit im Dunkeln zu pfeifen – oder überhaupt im Dunkeln unterwegs zu sein, besonders nach Mitternacht und besonders alleine. Sollte man das doch einmal unvorsichtigerweise tun, sollte man niemals den Kopf wenden, wenn der eigene Name von hinten gerufen wird! Wäsche sollte man auf keinen Fall übernacht draußen auf der Leine lassen – da diese gerne von Geistern für ihre Verwandtschaft gehalten und freudig begrüßt wird. Unwissende ausländische Freunde von mir sind deswegen schon von der Nachbarschaft gerügt worden. Berggipfel und vor allem Wasser sind in dieser Zeit besonders gefährliche Orte. Wie bereits erwähnt, kehren gewaltsam umgekommene Seelen im Geistermonat an den Ort ihres Todes zurück – und scheinbar sind in Taiwan bisher besonders viele Menschen ertrunken. Diese Ertrunkenen haben jeweils diesen einen Monat Zeit, an den schicksalhaften Fluss oder See zurückzukehren und Ersatz für sich selbst zu finden… erst dann sind sie erlöst und sind nicht mehr verlorene Seelen. Die taiwanesische Urangst vor Wasser ist in dieser Zeit daher noch einmal um ein Vielfaches gesteigert. Alles, wozu man Glück benötigt, unterlässt man in diesem Monat am besten, vielleicht weil man nie wissen kann, wann ein unglücksbringender Geist zufällig vorbeischaut. Das heißt, Hochzeiten, Umzüge, Geschäftseröffnungen, Operationen und so weiter verschiebt man soweit irgend möglich in den nächsten Monat. Ich persönlich bin passenderweise in diesem Monat einen persönlichen "Geist" losgeworden, der mich nunmehr ein ganzes Jahr geplagt hat, der mich vom Schlafen abgehalten und mein Leben und Denken vollkommen bestimmt hat. Noch bin ich mir im Unklaren darüber, ob die Erleichterung darüber größer ist oder die Wehmut. Eine große Leere lässt er jedenfalls zurück, dieser Geist, dieses formlose Wesen namens ICLP. Ich habe zudem ein wenig Angst, dass er das Chinesisch in meinem Hirn mit sich genommen hat... aber das wird sich zeigen müssen. Opfergaben im Tempel: Blumen, Kerzen und Geistergeld Fast jeder Tempel hat einen solchen Ofen zum Verbrennen von Geistergeld
Sunday, 18. July 2010Der wilde OstenDie zweite (und leider auch schon letzte) Woche meiner Ferien habe ich in und um den Ort Taidong an der Ostküste Taiwans verbracht, Ort meiner Sehnsucht seit meinem letzten Besuch dort. Dieser ist schon eine ganze Weile her – ausnahmsweise weiß ich es ganz genau, denn es war zum Jahreswechsel 2000 / 2001. In meiner Erinnerung blühen meterhohe Weihnachtssterne dunkelrot vor hellblauen Bergen, erstrecken sich Reihen von Orangenbäumen auf Hügeln, die sanft dem Meer entgegen fallen. Das Wasser leuchtend türkis, die rauen Felsen am Ufer ein rauchiges schwarz, die Teeplantagen tannengrün. Mother Land Mountain Vacation Guest House in den Bergen Dulans, nahe Taidong Taiwans Süden gehört der tropischen Klimazone an, auf Mother Land konnte ich das am eigenen Körper erfahren. Das Hostel liegt am Ende eines schmalen Weges, welcher einen dünn besiedelten Berg hinauf führt, inmitten einer Landschaft, die man bei uns zu Hause wohl als Dschungel bezeichnen würde. Direkt vor dem Haus liegt ein vermutlich von diversen Taifunen weichgeschliffener Felsen, von dem aus man über das Palmenmeer hinweg freien Blick auf den Pazifik genießen kann. Die Küche liegt im Freien, wenn auch überdacht, ebenso die Toilette und die Duschen, letztere ohne Dach und ohne Wände – nur auf der einen Seite ist man durch einen Vorhang vor den Blicken der anderen Gäste geschützt. Beim Duschen ist man daher umgeben von wild wucherndem, sattem Grün, daraus hervor ragen Palmen, regenschirmartige Blätter, überdimensionierte Farne und leuchtende, rosafarbige Blumen in Kopfgröße. Schmetterlinge flattern umher, hin und wieder blinzelt ein Makake aus den Palmen auf einen herunter. Zum Glück interessieren sich letztere im Allgemeinen eher für Bananen als für duschende Touristen. Statt Weihnachtssternen und Orangen sind im Sommer Kokosnüsse, Ananas, Papayas, Mangos, Litschis und Jackfrüchte dabei reif zu werden, letztere hängen am Baum wie stachelige grüne Kartoffelsäcke und sind um einiges größer als mein Kopf. Eine vergleichsweise kleine Jackfrucht links, Ananasplantage rechts Dass der Dschungel nicht nur von niedlichen Affen und bunten Faltern bevölkert ist, merke ich, als ich eines abends auf die Idee komme, nach Anbruch der Dunkelheit zu duschen. Nun teile ich mir den Schein der Lampe mit Horden an handtellergroßen Motten, langbeinigen Spinnen und buntleuchtenden Käfern in Dimensionen, wie man sie in Deutschland höchstens in aufgespießter und katalogisierter Form findet. Hin und wieder hüpft mir ein kleiner, vielfarbiger Frosch um die Füße. Was jenseits des gelben Lampenscheines liegt, möchte ich gar nicht erst wissen. In meinem Gästezimmer befindet sich ein Plastikeimer, für den Fall, dass mich des Nachts ein dringendes Bedürfnis überkommen sollte. Mir wurde davon abgeraten, den Weg zur Toilette zu wagen, da Schlangen hier nachtaktiv und gerne auch mal giftig sind. Auch ein Paradies hat seine kleinen Mängel, dieses meine hat aber vor allem einen: das Wetter. Genauer gesagt die Sonne, unerbittlich ist sie hier. Schon früh am morgen bewegt sich das Thermometer steil Richtung 40 Grad Celsius, zusätzlich ist es dschungelfeucht. Mein einziger Wanderversuch muss nach zwei mühsamen Stunden abgebrochen werden. Zum Glück stolperte ich mit meiner Wanderpartnerin da gerade an einem Tempel vorbei, wo wir nicht nur Schatten und frischen Tee bekamen, sondern auch kopfschüttelndes Mitleid und - was noch viel wichtiger war - den hinweis auf eine Abkürzung zum Hostel zurück. Statt Wandern habe ich mich daher mit (ein wenig) weniger anstrengenden Aktivitäten begnügt wie in einem schattigen Park in Taidong Fahrrad zu fahren (auch schon extrem schweißtreibend) oder damit, das traditionelle Drachenbootrennen zum Drachenbootfest anzuschauen. Dieses Fest ist eines der wichtigsten taiwanesischen bzw. chinesischen Feiertage und geht auf Rettungsversuche zurück, die vor weit über 2000 Jahren veranstaltet wurden, als sich ein beliebter Dichter und Staatsmann nach ungerechter Behandlung durch den König in die Fluten eines Flusses stürzte. Nachmittags bin ich einige Male mit dem Hostelpärchen und ein, zwei anderen Gästen hinunter ans den Pazifik gefahren. An einen weiten Sandstrand in einer geschützten Bucht, den wir meistens ganz für uns alleine hatten, da viele Taiwanesen sowohl Angst vor Wasser als auch vor der Sonne haben. Einmal sind wir erst am frühen Abend dort angekommen, da haben wir uns den Strand mit einigen Ami geteilt. Die Ami sind einer der 14 Ureinwohnerstämme Taiwans, die allesamt nicht chinesischen, sondern austronesischen Ursprungs sind. Neuere Theorien gehen sogar davon aus, dass Taiwan selbst der Ursprungsort oder zumindest Ausgangspunkt aller austronesischen Völker ist, aber das nur am Rande. Diese Ami jedenfalls, vor allem ältere Frauen, tanzten einen traditionellen Tanz um zu feiern, dass ihr riesiges Feuer gelungen war, in dem sie unter anderem Süßkartoffeln gegart hatten. Sie ließen uns nicht nur mittanzen, sondern auch mitessen. Ein weiterer Lieblingspunkt dieser Reise: eines morgens bin ich früh auf den Felsen neben der Küche geklettert, um von dort den Sonnenaufgang über dem Meer zu genießen. Zu meinen Füßen ein Meer aus grün, neben mir auf dem Fels einzelne, riesige weiße Blüten. Im Hintergrund spielte die Symphonie des Dschungels: ein Klangteppich gespielt von Zikaden, in forte, darüber gelegt in unregemäßigem Rhythmus der Gesang der Affen, die Rufe ungesehener Vögel. Kleines Drachenbootrennen zum Drachenbootfest in Taidong Tanz der Ami am Strand Nach dem Aufenthalt in den Bergen habe ich noch zwei Tage direkt in Taidong verbracht, einer entspannte Küstenstadt, die mich an ein stereotypes Kalifornien erinnert - in Rhythmus, Wetter und Lebensgefühl. Ich habe dort eine Freundin besucht, die ich das letzte Mal vor vielen, vielen Jahren gesehen habe, als sie zwei Wochen lang bei mir in Freiburg zu Besuch war. Damals waren wir beim Wandern auf dem Schauinsland von einem Gewitter überrascht worden, ein Erlebnis, das tief in ihre Erinnerung eingebrannt ist. So schön es war, meine Freundin wieder zu sehen, so anstrengend war es auch. Sie musste arbeiten und hatte eigentlich kaum Zeit für mich. Ich kann im Allgemeinen ganz gut auf mich selbst aufpassen, aber das lässt die taiwanesische Höflichkeit nicht zu. So stellte sie mir verschiedene ihrer Freunde als Babysitter zur Seite, deren Hauptaufgabe es wohl war, mich irgendwie beschäftigt zu halten, sei es auch mit Supermarktbesuchen oder Eisessen bei McDonalds. Am zweiten Morgen habe ich es immerhin zwischen zwei Aufpassern geschafft, mir ein wenig Luft zu schaffen und mir (alleine und zum Unverständnis meiner Begleiter) das sehr schicke Prähistorische Museum anzuschauen, in dem oben erwähnte austronesische Kulturen Taiwans vorgestellt werden, archäologisch und ethnologisch. Am zweiten Nachmittag sind wir zu fünft in die Berge gefahren, wo wir nach einem Spaziergang mitten auf dem noch sehr traditionellen Land ein überraschend leckeres (sprich authentischer als in Taipei) westliches Essen in ebenso überraschender aber gemütlicher Ikeaidylle genossen haben. Die Berge waren wie in meiner Erinnerung – blau, voller Palmen und Teeplantagen. Daneben Ananasplantagen, jede Frucht einzeln liebevoll verpackt. Den farblichen Kontrapunkt setzten bunte Scharen an Paraglidern, scheinbar der neue Tourismustrend vor Ort. Reisfelder nahe Taidong Auf dieser Reise habe ich mal wieder bemerkt, wie klein Taiwan ist. Nicht in geographischer Hinsicht – Taidong ist eine halbe bis ganze Tagesreise von Taipei entfernt und bietet eine völlig andere Landschaft - sondern in zwischenmenschlicher. Ich frage mich immer wieder, wo der Rest der 30 Millionen Einwohner Taiwans bleibt. Die Kreise, die sich um Ausländer herum ziehen, scheinen sehr klein. Jedenfalls habe ich in dem Minihostel in Taidong neben einer sehr netten Sozialarbeiterin aus Hongkong die ebenfalls sehr nette Exfreundin meines Yogalehrers aus Taipei kennengelernt. Inzwischen sind schon vier Wochen meines vierten und damit letzten Quartals hier an der Uni vergangen. Das Sommerquartal ist nicht nur kürzer als die anderen drei, man hat auch weniger Unterricht, sprich – fast so etwas wie einen normalen 8-10 Stunden Tag. Das heißt, ich habe endlich Zeit, die vielen kulturellen Angebote Taipeis zu nutzen, oder auch tatsächlich mal zu schlafen. Meine Kurse gefallen mir zudem sehr gut: ich habe einen Filmkurs, in dem wir interessante Filme aus Taiwan, Hongkong und dem chinesischen Festland diskutieren (und regelmäßig mehrseitige Aufsätze darüber verfassen); einen Kurs in dem wir verschiedene chinesische und taiwanesische Kurzgeschichten lesen (für Interessierte: Lu Xun ist bisher mein Lieblingsautor); und schließlich einen Einzelkurs, in dem ich Aufsätze lese, bisher verschiedene aus den 90ern, in denen unter anderen die Entwicklung der chinesischen Intellektuellen im 20. Jahrhundert mit denen der deutschen Ende des 18. Jahrhunderts verglichen wird. Alles nicht gerade einfach, aber sehr spannend. Kurz: das Quartal ist mit Abstand mein bestes bis jetzt. Du sollst gehen, wenn es am Schönsten ist, heißt es wohl, und so wird auch mein Jahr im ICLP und an der Taida zu Ende gehen. Meine Zeit in Taiwan dagegen nicht unbedingt… aber da ist noch vieles unausgegoren und soll daher an anderer Stelle berichtet werden. Bis dahin kämpfe ich mit der Hitze in Taipei, die in der Großstadt viel weniger angebracht scheint als in der Wildnis, und versuche weiterhin vergeblich, mir im inzwischen 35 Grad Celsius (!) warmen Uni-Schwimmbecken Abkühlung zu verschaffen. Liebe Grüße aus Taipei! Kerstin Am Rande: Eines abends saßen wir vor dem Hostel um ein Lagerfeuer. Zwei der Hostelgäste hatten noch ein paar Taidonger Freunde zum abendlichen Grillen mitgebracht. Darunter drei junge Kerle, alle drei vom Ami-Stamm. Sie waren sehr interessiert an mir, an Deutschland. Der erste wandelte die ansonsten übliche Frage nach den deutschen Autobahnen und der fehlenden Geschwindigkeitsbegrenzung ab, indem er feststellte: „Ah! Deutschland! Das ist das Land, in dem man mit Panzern auf der Straße fahren kann!“ Sein Nachbar fügte hinzu: „Und das Land, in dem man überall legal Marihuana kaufen kann, oder?“ Der dritte: „Deutschland ist das Land mit der großen Kirche. Aber pah, was ist das schon? Große Kirche, Eiffelturm… heutzutage kann man so was alles bei Google eingeben, und dann hat man es auf dem Bildschirm. Wirklich!“
Monday, 14. June 2010Dreiviertelzeit mit SchwarzwälderkirschtorteInzwischen kann ich es wohl schon als Tradition bezeichnen. Jedes Mal, wenn ich mich im chinesischsprachigen Ausland aufhalte, trage ich die heimische Kultur auf kulinarische Art und Weise hinaus in die weite Welt: ich backe eine Schwarzwälderkirschtorte. Als ich (vor 10 Jahren!) das erste Mal in Taiwan war, damals in Tainan in Taiwans Süden, habe ich eine solche für meine Arbeitskollegen gebacken. Wochenlange Vorbereitungszeit, stundenlange Schweißarbeit, in wenigen Minuten aufgegessen. Als ich 2007 in Dalian, China, einen Sprachkurs besucht habe, hatte meine Sprachaustauschpartnerin nur einen sehnlichen Wunsch: dass ich ihr zeige, wie man eine echte Torte aus dem Schwarzwald backt. Mangels Küche saßen wir auf dem Boden und wechselten uns ab mit dem Rührbesen beim Teig- und Sahneschlagen. Hier in Taipei habe ich die Reihe nun fortgesetzt. Eine Freundin einer meiner Lehrerinnen hat ein kleines Geschäft mit dem schönen Namen Flügel, in welchem sie deutsche Kuchen verkauft. Mit ihr und einigen ihrer Freundinnen bzw. Kolleginnen habe ich nun meine dritte Schwarzwäldertorte im fernen Osten gebacken. Obwohl ich dieses Mal so gut ausgestattet war wie noch nie (wir hatten sowohl eine Waage als auch ein Rührgerät!) ist es die mit Abstand hässlichste Torte geworden, die ich je gebacken habe... Lecker war sie wenigstens. Backaktion Ein kleines Geschäft heißt hier im Übrigen wirklich klein. Ein eigenes Geschäft zu eröffnen gilt in Taiwan als etwas sehr Erstrebenswertes und ist zudem um Einiges einfacher als in Europa. Ständig eröffnen daher an allen Ecken und Enden neue Geschäfte, zum Teil nur einfache kleine Stände, und verschwinden eben so schnell wieder. Wenn das eigene Geschäft nicht läuft, macht man eben was anderes. Berufe kommen und gehen. Eine junge Frau die meinen Backkurs besucht hat, ist beispielsweise zurzeit Masseurin. Sie möchte sich umorientieren und daher nun lernen wie man Kuchen backt. Mit Kuchen hatte sie bisher nichts zu tun, gebacken hat sie auch noch nie, aber das kann ja noch werden. Später möchte sie etwas ganz anderes machen, vielleicht ein eigenes Geschäft aufmachen und irgendetwas verkaufen, Kleidung vielleicht. Auch viele meiner Chinesischlehrerinnen sind nur vorübergehend Lehrerinnen. Sie wollen das ein paar Jahre machen, dann was anderes ausprobieren. Immer dasselbe zu machen sei schließlich langweilig. Selbstverständlich hat diese Flexibilität neben Vorteilen auch so einiges an Nachteilen. So weiß man nie, ob der Friseur, den man heute besucht, nicht gestern noch Automechaniker war. Es gibt Berufsschulen, aber keinen vorgeschriebenen Ausbildungsweg. So passieren dann solche Sachen wie bei uns in der WG-Küche. Bevor ich eingezogen bin, kamen anscheinend üble Gerüche aus dem Abfluss im Küchenboden. Einen Anruf an den Vermieter genügte, der schickte sofort einen Handwerker. Oder vielleicht besser, „Handwerker“. Dieser nämlich rührte kurz entschlossen einfach einen Eimer Beton an und goss den in den Abfluss. Aufgabe gelöst, Geruchsproblem beseitigt. Seitdem haben wir zwar keinen Gestank in der Küche aber auch keinen Abfluss im Küchenboden mehr. Die Mieter unter uns mussten sich durch den Beton bohren, um ihre Rohre wieder frei zu bekommen.
Ghostburger. Der stolze Besitzer nennt sich auf Chinesisch Xiao gui, was so viel heißt wie kleiner Geist... Die positive Seite dieses kreativen Chaoses ist, dass sich jeder einfach mal an verschiedenen Berufen ausprobieren kann. So hat auch einer meiner Mitstudenten, zu Hause Student an der Eliteuniversität Yale, mal eben ein Quartal Chinesischunterricht ausgesetzt um stattdessen einen eigenen Burgerstand auf dem Nachtmarkt aufzumachen. Eine Kühltasche, eine Gasplatte mit Gasflasche, eine Pfanne, viel mehr braucht man nicht für das Kleinstunternehmen. Ghostburger warden geboren. Selbstverständlich müssen auch hier in Taiwan Genehmigungen eingeholt werden, auf dem Nachtmarkt, munkelt man zumindest, sowohl von der Polizei als auch von der Mafia, aber es ist trotz allem sehr viel weniger umständlich als daheim. Auch Flügel ist solch ein eine-Frau-Unternehmen. Es ist ein kleines Geschäft in einer kleinen Nebenstraße. Der Laden besteht aus einer Verkaufstheke mit vier Hockern. Es gibt nicht mehr als drei Sorten Kuchen pro Tag, meistens Rührkuchen. Und Tiramisu. Die Besitzerin backt alle Kuchen selber in ihrer WG Küche, auch den Verkauf macht sie fast immer alleine. Sie hat eine Zeitlang in Deutschland studiert und fand die Kuchen dort so toll, dass sie diese Kunst nach Taipei bringen wollte. Wir haben also zu fünft in ihrer WG-Küche Torte gebacken, wobei sich der Spruch mit den vielen Köchen bewahrheitet hat. Der aber wohl besonders gilt, wenn drei der fünf Köche noch nie gebacken, Sahne geschlagen oder Kirschen eingedickt haben. Oder überhaupt echte Torte gegessen haben. Und der Ofen ein kleiner Toasterofen ist. Und das Spezialgeschäft mit den Backzutaten ausgerechnet am Backtag geschlossen hat. Das Unterfangen Torte in Taiwan hat letztlich sehr viele, schweißtreibende Stunden gedauert, dafür aber auch jede Menge Spaß gemacht. Und geschmeckt. Ansonsten habe ich nun tatsächlich schon drei meiner vier Quartale im ICLP hinter mir. So richtig fassen kann ich es nicht. Andererseits merke ich an meiner Erschöpfung, dass tatsächlich viel Wasser den Jilong Fluss herunter geflossen ist, seit ich hier am Lernen bin. Man munkelt, das Sommerquartal sei lockerer als die anderen drei, ich hoffe es sehr. Im Moment habe ich zwei ganze Wochen Ferien, genügend Zeit also, um ein wenig Luft zu schnappen vor dem Endspurt. Die erste Ferienwoche habe ich vor allem mit Abschied verbracht, da der Großteil meiner Mitstudenten nach diesem Quartal wieder nach Hause gereist ist. Nur wenige Tapfere bleiben nicht nur für das akademische, sondern für das ganze kalendarische Jahr. Dafür kommen über den Sommer viele neue Studenten, die nur für die Summer School nach Taiwan reisen. Neben Taschentuchwinkerin war ich in dieser Woche vor allem Taipeitouristin. Endlich einmal habe ich mir die Zeit genommen, die Ecken Taipeis und Umgebung zu erforschen, die man als typischer Besucher Taipeis besichtigt, als gestresster Bewohner aber allzu gerne vernachlässigt. Ich war am Jilong Fluss spazieren, im Wissenschaftsmuseum spielen und in einem KTV-Koloss (Karaoke-Burg mit privaten Zimmern) singen. Ich bin mit der Gondel hoch zu den Teehäusern von Maokong geschwebt, wo wir uns nach einem Spaziergang durch die Teeplantagen auf der Terrasse eines Teehauses mit Panoramablick auf Taipei ausgeruht haben. Dort konnten wir einen extrem feinen Oolong-Tee und ein ebenso leckeres Abendessen inklusive Teeblattreis genießen während über unseren Köpfen der Himmel langsam dunkel und zu unseren Füßen die Stadt langsam hell wurde.
Blick von Maokong auf Taipei Dienstag haben wir die äußerst seltene Koinzidenz von Ferientag und gutem Wetter genutzt, um in das eine Stunde Zugfahrt nördlich von Taipei gelegene Fulong zu fahren. Dort haben wir bei strahlendem Sonnenschein einen Nachmittag am Strand verbracht. Wir konnten überdimensionale Sandkunstwerke bewundern, die anlässlich eines Wettbewerbs am Strand aufgebaut worden waren. Von solch hoher Kunst inspiriert, haben wir uns gegenseitig im Sand verbuddelt und anschließend in dem kleinen, eingezäunten, argwöhnisch bewachten Abschnitt der Bucht in dem Schwimmen erlaubt ist, die Wellen uns den Sand wieder vom Körper spülen lassen. Freitag war ich auf einem Konzert des taiwanesischen Mega-Stars Jay Chou. Es war eines von zwei Konzerten, die im Rahmen seiner Welttournee in der riesigen Taipei-Arena stattfanden. Ein paar seiner Lieder fand ich richtig gut, der Großteil ist allerdings nicht so mein Geschmack, Mandopop eben. Dafür war die Show großartig, mit Lasern, Feuerwerk, Tänzern etc. Jay Chou ist wegen seiner musikalischen Vielfältigkeit und Kreativität nicht nur in Taiwan extrem beliebt. Die Karten zu beiden Konzerten in Taipei waren jedenfalls innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Einige meiner Mitstudenten, die im Gegensatz zu mir echte Fans sind, haben am Tag des Kartenvorverkaufsstarts alle Kurse ausfallen lassen, um sich in den frühen Morgenstunden anzustellen – für den Verkaufsstart um 12.00 mittags. Mehrere taiwanesische Fans haben sogar vor dem Laden übernachtet. Ein Mitstudent hat seinen Rückflug nur wegen des Konzerts verschoben, Gebühr: 200 US Dollar. Deren Tickets haben dementsprechend auch das 3-5-fache von meinem gekostet… dafür konnten sie bestimmt auch mehr sehen als ich. Gestern schließlich konnte ich die Freiheit der Ferien nutzen um mitten in der Nacht in die Kneipe zu gehen. Dort konnte ich bis in die frühen Morgenstunden mit einem australischen Freund (und einem kanadischen der an dieser Stelle irrelevant ist) das Spiel Deutschland – Australien verfolgen. Seine Stimmung wurde immer mieser, meine immer besser. Ich fühlte mich dabei fast wie zu Hause… Obwohl die Kneipe einem (ebenfalls zunehmend übellaunigem) Australier gehört, waren vor allem deutsche Fans vor Ort. Schwarz-Rot-Goldene Bierseligkeit, Auf geht’s Deutsche schießt ein Tor und sogar '54, '74, '90, 2010 füllten den Raum. In den nächsten Tagen habe ich vor, ein wenig durch Taiwan zu reisen, ich hoffe also, es gibt bald wieder etwas zu Berichten. Bis dahin liebe Grüße aus Taipei! Kerstin
Fulong King Kong in Fulong Am Jilong Fluss in Taipei Jay Chou in der Taipei Arena Am Rande: Eine darf hier niemals fehlen: Hello Kitty. Daneben das Schild, das die Intention des Künstlers erläutert. Saturday, 22. May 2010Kaffeefahrt mit MazuIn der Regenschirmfabrik Neulich habe ich an einer von der Uni organisierten Kaffeefahrt teilgenommen. Da bei knapp 35 Grad selbst der verwirrteste Rentner kein Interesse an Heizdecken hätte, wurde uns stattdessen ein Produkt ans Herz gelegt, dass für Bewohner einer Stadt mit gefühlten 350 Regentagen pro Jahr eine Gottesgabe ist: der Regenschirm. Getarnt wurde das ganze (kaffeefahrtzielgruppengerecht?) als Pilgerfahrt. Mazu, Meeresgöttin und quasi-Schutzpatronin Taiwans, habe ich in diesem Blog schon mehrfach erwähnt. Bevor sie Göttin wurde, war sie ein normales Mädchen (wenn auch mit übernatürlichen Kräften), weshalb sie auch einen Geburtstag hat: den 23. Tag im 3. Monat des chinesischen Mondkalenders (um das Jahr 960 herum). Dieser wird in vielen Orten Taiwans groß gefeiert, besonders große Feierlichkeiten finden an einigen wenigen für die Gläubigen wichtigen Orten statt. Einer davon ist Beigang – eine Kleinstadt im Westen der Insel, in der einer der ältesten und wichtigsten Mazu-Tempel Taiwans steht. Zu diesem Anlass also hatte das Sprachzentrum eine 3-tägige Reise organisiert, bzw. von einem externen Veranstalter organisieren lassen. Die Reise war relativ günstig, umfasste dementsprechend (?) diverse Zwischenstopps in an der Autobahn gelegenen Tee- oder anderen Spezialitätengeschäften – sowie besagter Regenschirmfabrik. In jener wurden uns von einer enthusiastischen Dame Regenschirme aller Couleur detailreich vorgestellt. Sogar den größten Regenschirm Taiwans konnten wir bestaunen, so groß, dass mein momentanes Zimmer mindestens 10mal darunter passen würde. Wäre ja alles nicht so schlimm und eher zum Lachen, wenn den Veranstaltern darüber nicht das eigentliche Ziel der Reise aus den Augen geraten wäre. So kam es, dass wir an Mazus Geburtstag Tee kauften, Schirme bewunderten und Bleistiftbehälter aus Weihrauchton bastelten (selbst für einen Bastelfan wie mich Zeitverschwendung... vor allem angesichts der Tatsache, dass die allermeisten Teilnehmer in wenigen Wochen nach Hause fliegen) – und erst abends um 10 Uhr (!) in Beigang ankamen. Nur weil der Busfahrer sehr nett war und seinen Feierabend nach hinten verschoben hat durften wir wenigstens bis 11 Uhr (!!) bleiben. Lange vorbei war zu dieser Zeit der vor allem von kostümierten und tanzenden Kindern bemannte buntlaute Wagenumzug sowie der Großteil des als typisch geltenden Gebölleres. Auch die Gläubigen, die im Trance allerlei für Außenstehende äußerst schmerzhaft erscheinende Praktiken ausüben, waren schon erschöpft nach Hause gegangen. Es war dennoch absolut sehenswert. Wenn auch der Großteil der Festivitäten vorbei war, viele Besucher und somit die Stimmung waren auch um 10 Uhr noch da. Wir haben zum Glück noch das Ende einer Tempelprozession mitbekommen, in welcher Mazu mit viel Geleit in einer Sänfte von Tempel zu Tempel getragen wird. Wir haben den hell erleuchteten Tempel bestaunen können, einige Götter furchterregend tanzen sehen und uns vor den letzten riesigen Teppichen aus Böllern in Sicherheit gebracht, in deren Mitte die Gläubigen stehen bleiben um ihr Gottvertrauen oder ihren Mut zu beweisen. Und, um fair zu sein: nachmittags haben wir in einem anderen Örtchen (Lugang) schon einen kleinen Teil einer Mazu-Prozession mitbekommen, völlig verpasst haben wir die Geburtstagsparty also glücklicherweise nicht. Verschiedene Götter in Beigang Einer der Acht Unsterblichen, den man um Rat bitten kann - wenn er nicht gerade in Trance mit dem Schwert tanzt Vor dem Tempel in Beigang. Man beachte die Funktion der den Tempel bewachenden Löwen im Hintergrund So unbefriedigend die Reise begonnen hat, letzten Endes war es doch ein wunderbarer Ausflug. Der zweite und der dritte Tag standen nicht mehr im Zeichen Mazus, sondern sollten unseren von Böllerrauch geschwärzten Lungen Erholung bieten. Es ging ins Bergland im Zentrum Taiwans, in ein Waldgebiet (Xitou), das wie 1% der gesamten Insel unserer guten alten National Taiwan University gehört. Wir haben einen Bambuswald besucht, dort aus Bambusschüsseln in Bambusstämmen gekochte Bambussprossen gegessen, mit dem angetrunkenen Besitzer der Gaststätte seine Bambuskanone getestet, allein mit Wasser und mysteriösen Steinen befeuert (kawumm!), sowie Laternen aus Bambus gebastelt. Selbst Unterwäsche aus Bambusfaser hätten wir erwerben können. Wir waren spazieren und sogar richtig wandern, dabei haben es alle sehr genossen, der großen Stadt für ein Weilchen zu entkommen – dazu noch in eine solch ausgesprochen schöne Gegend. Wir haben mit einem Biologen, unseren Bambuslaternen und leider noch 50 anderen Leuten eine Nachtwanderung unternommen, in der wir die heimische Insekten- und (teils giftige) Froschwelt vorgestellt bekamen und als Highlight des Abends, selbstverständlich ohne Laternen, in einen Teil des Waldes gingen, der über und über von Glühwürmchen bevölkert ist. Auf dem Rückweg nach Taipei haben wir schließlich einen Zwischenstopp nahe der Stadt Taizhong eingelegt um dort eine kleine Fahrradtour in leuchtend grüner Umgebung zu unternehmen, was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat. Teich im Wald Im Wald bei Xitou Die Pilgerrunde Die Reise wurde also zunehmend besser und ich bin froh, mitgefahren zu sein. Selbst unsere Kaffeefahrt-Leiterin, die uns anfangs wahlweise wie demente Senioren oder Kindergartenkinder behandelte („wie viele Sicherheitsausgänge hat der Bus? Wer kann sie zählen? Als Preis gibt es einen Snack, den alle Kinder in Taiwan gerne essen!“ etc. Es stellte sich im Übrigen später heraus, dass sie hauptberuflich tatsächlich Kindergärtnerin ist), wurde im Lauf der Reise zunehmend ruhiger. Möglicherweise weil ihr Verkaufsziel erreicht war? So genervt alle waren, die Rechnung der Veranstalter ist aufgegangen: sehr viele von uns haben nicht nur Tee oder Kekse sondern auch einen Schirm gekauft, manche auch zwei oder drei. Ich muss gestehen, auch ich konnte nicht widerstehen (der Schirm war einfach zu niedlich und klein, er passt sogar in meine Handtasche!). Kerstin Nachdem ein Böller-Teppich angezündet wurde... ich war dann doch froh, dass ich niemandem etwas beweisen muste und das Ganze vom Rande beobachten konnte Am Rande: Politiker hier scheinen wesentlich emotionaler als anderswo… Nicht zum ersten Mal hat Ende April eine Debatte im Parlament zu Handgreiflichkeiten unter den Abgeordneten geführt. Diese Mal gab es mehrere Verletzte und eine Ohnmächtige. Das Thema diese Mal: sollen Studenten vom chinesischen Festland an taiwanesischen Universitäten zugelassen werden?
Bilder am Rande: Ich will es gar nicht genau wissen...
Sunday, 9. May 2010Chinesische Ismen und Schwärmereien
Gege Kerstin Ansonsten habe ich letzte Woche nicht nur meine Midterm-Prüfungen, sondern auch noch das chinesische Äquivalent zum englischen TOEFL-Test (also einen standardisierten Sprachtest) hinter mich gebraucht und bin dementsprechend erschöpft. Das dritte Quartal im intensivst-Intensivkurs hier zehrt an mir. Die Krankheitsquote unter meinen Kommilitonen steigt exponentiell. Auch ich bin jetzt erst, drei Wochen nachdem ich krank geworden bin, so langsam wieder gesundheitlich auf der Höhe. Ein typischer Tag aus der letzten Woche: 6 Uhr aufstehen, letzte Hausaufgaben machen, wiederholen. 8-12 Uhr: 4 mal hintereinander Intensivkurs, das heißt 4 Lehrer, 4 Lehrbücher. 12-13 Uhr: Vortrag im Sprachzentrum auf Chinesisch, nebenher Verzehren eines von der Schule gestellten Mittagessens. 13-23 Uhr Hausaufgaben, Lernen in einem Café oder der Bibliothek. Dazwischen kurze Abendessenspause. Nach Hause, Wäsche waschen, Aufräumen, ähnliches. Zwischen 24 und 1 Uhr ins Bett. Oder auch noch mal wiederholen. Und wieder von vorne. Da ich unter derartigen Umständen nicht besonders viel berichtenswertes erleben konnte, werde ich stattdessen versuchen, eine Frage zu beantworten, die sich nach Lektüre des obigen Absatzes aufdrängen mag, bzw. die mir auch schon mehrfach gestellt wurde: WARUM?? Warum tust du dir das an? Und auch: warum ist das nötig, du lernst doch schon so lange? Ich werde mit der zweiten Frage beginnen: Ein sehr einfaches und zwei etwas kompliziertere Schriftzeichen 3. Die Redewendungen Neben Redewendungen a la „Morgenstund hat Gold im Mund“ gibt es im Chinesischen noch eine gesonderte Kategorie Sprichwort, die sogenannten Chengyus (uebersetzt sowas wie Sprache werden). Diese bestehen fast immer aus vier Schriftzeichen und ihre Besonderheit liegt darin, dass sie viel formelhafter und viel stärker fester Bestandteil der Sprache sind, als es Sprichwoerter in unserem Sinne sind. Manche werden wie Nomen gebraucht, andere wie Adjektive, andere wie Verben. Vor allem in gehobenen geschriebenen Texten, wie z.B. Tageszeitungen, aber auch in der gesprochenen Sprache sind diese wie Sand am Meer zu finden. Im Gegensatz zum Deutschen zeugt ihre Verwendung von gutem Stil. In der Kürze liegt schließlich die Würze. Da sie überwiegend aus dem klassischen Chinesisch stammen, entspricht haeufig weder die Bedeutung der einzelnen Zeichen noch die grammatische Struktur des ganzen Sprichworts der modernen Sprache. Selbst allerdings wenn man das klassische Chinesisch lernt, erschliesst sich die Bedeutung der Chengyus nicht unbedingt. Viele Chengyus zitieren klassische Texte, man muss daher die Geschichte oder den Mythos dahinter kennen, um das Sprichwort verstehen zu koennen. Es gibt also keine Hilfe, man muss sie einfach auswendig lernen – wie das im Übrigen auch die Schueler hierzulande tun. Da ist nicht nur aller Anfang schwer. Damit kann man sich ein ganzes Weilchen beschaeftigt halten – je nach Zählart gibt es im modernen Chinesisch 5000-20 000 solcher Chengyus (Im Wiktionary finden sich knapp 1000 Stück mit englischer Übersetzung, auf einer chinesischen Seite sind 11522 Stück gelistet). Gut Ding will schließlich Weile haben. Ein Beispiel: chu chu cao cao – woertlich etwa Ort-Ort-Name-anderer Name. Heißt aber so viel wie ein Mensch, der ständig misstrauisch ist.
Alle 13 Vortragenden plus Organisatorinnen
Am Rande: Was Taiwan gerade bewegt: Lin Yu Chun, ein rundlicher junger Mann mit Topfschnitt und roter Fliege, der Whitney Houstons Klassiker „I will always love you“ in einer taiwanesischen Talentshow à la Taiwan sucht den Superstar vorgetragen hat. Manche Kommentatoren meinen, er singe dabei besser als Whitney selbst… ob dem so ist oder nicht – er ist damit quasi übernacht nicht zu einer weltweiten Sensation geworden. Link zum Auftritt.
Tuesday, 20. April 2010Schattenboxen führt in den AmeisenhaufenEs ist, als hätte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben so richtig geprügelt. Ich habe eine dicke, sich langsam blau verfärbende Lippe, schmerzende Zähne und eine Nase, die auf Berührungen ungnädig reagiert. Mein Nacken ist steif und schmerzt ebenfalls. Auch der Beginn dieses Zustands hatte ein wenig was von Boxring. Zumindest so, wie ich mir diesen vorstelle. Ich wachte aus einem tiefen Traum auf, weil mich jemand an der Schulter schüttelte. Ziemlich verwirrt stellte ich fest, dass ich auf dem Boden lag, über mir grelles Licht sowie an die 20 Menschen, die um mich herum standen und mich mit großen Augen anstarrten. Im Gesicht hatte ich ein blutiges Tuch. Und ja, da war auch irgendwas von Boxen… Allerdings nur Schattenboxen, was mit ersterem herzlich wenig zu tun hat. Mitten in meinem Tai-Chi-Kurs bin ich ohnmächtig geworden und platsch – mit dem Gesicht voran auf den Holzboden geknallt… Welcher Schatten auch immer mir diesen Schlag versetzt hat, er hat unfair gekämpft, denn der Kampf war noch nicht angepfiffen. Wir waren gerade mal bei der ersten Aufwärm- bzw. Entspannungsübung angekommen. Ich kann euch beruhigen – mir geht es gut und ich war natürlich auch beim Arzt, der nichts Schwerwiegendes feststellen konnte und insgesamt nicht besonders beunruhigt schien. Daher werde ich das Ganze einfach als Gelegenheit ansehen, euch zu erzählen, wie es so in einem taiwanesischen Krankenhaus zugeht. Montagmorgen bin ich mit dem Taxi ins Uni-Krankenhaus der Taida gefahren. Dort reihten wir uns in eine lange Reihe anderer Taxis ein, die einer nach dem anderen ihre Fahrgäste abluden. In der hohen und laut hallenden weil menschenüberfüllten Empfangshalle kam ich mir ziemlich verloren vor... bis ich eine Leuchtboje im Menschenmeer entdeckte. In vielen öffentlichen Institutionen in Taipei arbeiten freiwillige Helfer, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als verwirrten Menschen den Weg zu weisen. Diese Helfer tragen meist neongelbe Verkehrswesten und sind daher schon von weitem zu erkennen. So eine Helferin führte mich also durch die ersten Schritte. Als erstes, wie wohl überall auf der Welt, musste ein Formular ausgefüllt werden. Kontaktdaten, Vorgeschichte, Einverständniserklärung in die Behandlung etc. Des Weiteren bekam ich die Regeln des Krankenhauses ausgehändigt. Alle Patienten werden gleich behandelt, ich muss für die Kosten meiner Behandlung aufkommen, meine Daten sind sicher… und von unangebrachten Verhaltensweisen ist abzusehen. „Such improper behaviors include smoking, eating betel nuts and consuming / possessing durian fruits.” Letztere riechen so stark, dass sie den eh schon geschwächten Patienten wohl nicht zuzumuten sind. Als nächstes: Nummer ziehen für den Anmeldeschalter. Warten. Anmelden. Für welche der 24 Abteilungen denn? Ich schildere meine Umstände. Neurologie also. Da sind heute Vormittag keine Termine mehr frei, kommen sie einfach heute Nachmittag wieder. Ich erkläre, dass es mir nicht besonders gut gehe, ob es nicht vielleicht in einer anderen Abteilung…? Na gut, sie kann mir in der Chirurgie einen Termin geben. Die können Sie auch behandeln. Ich bekomme eine neue Nummer, diesmal für die Chirurgie. Praxis Nr. 13 in der Chirurgie Abteilung. Nach längerem Durchfragen finde ich den richtigen Ort. Über der Tür prangt, wie über fast allen Türen an denen ich vorbei gekommen bin, eine Digitalanzeige mit roten Zahlen wie im Amt. Ich nehme auf einem der davorstehenden Plastiktühle inmitten vieler anderer Wartenden Platz und... warte. Und warte. Insgesamt über vier Stunden lang. Endlich ist meine Nummer an der Reihe und ich darf das Arztzimmer betreten. Arzt und Krankenschwester sind nett, wir unterhalten uns fröhlich auf Chinglisch. Sie untersuchen mich, soweit alles in Ordnung. Zur Sicherheit bekomme ich eine Überweisung für weitere Untersuchungen. Zunächst aber muss ich zur Rechnungsabteilung und die Rechnung, die mir der Arzt gegeben hat, sofort begleichen. Eine Nummer ziehen. Warten. An einem von sehr vielen Schaltern bezahlen. Da ich Mitglied der staatlichen Gesundheitskasse bin, muss ich nur einen Zuschuss von etwas weniger als 10 Euro bezahlen. Zum Glück habe ich keine Medikamente verschrieben bekommen, sonst müsste ich zur Apothekenabteilung, eine Nummer ziehen und… So aber kann ich direkt weiter in die Kardiologie. Zum Glück finde ich wieder eine freiwillige Helferin, die mir nicht nur den Weg weist, sondern mir auch zeigt, in welchen Schlitz ich meine Anmeldung zum EKG einwerfen muss und wo ich warten kann, bis ich dran bin. Hier ist die Wartezeit zum Glück nicht so lang und auch die Untersuchung selbst ist in einem Augenblick vorbei. Danach geht’s weiter zur Blutabnahmestation. Nummer ziehen. Warten. Hier reiht sich ein Schalter neben den anderen, über jedem die obligatorische Digitalanzeige, auf jedem Tisch neben diversen medizinischen Utensilien jeweils ein schwarzes Plastikkissen zum Armauflegen. Hier sitzen bald 20 Arzthelferinnen nebeneinander, die scheinbar den ganzen Tag nichts anderes machen als Blutabnehmen. Dementsprechend schnell geht das Ganze dann auch, wenn man erst mal dran ist. An der Wand hängt ein riesiges Schild, dass alle Patienten darauf hinweist, dass sie auch wirklich 5 Minuten lang auf die Einstichwunde drücken sollen. Ein bisschen froh, dass ich keine Urinprobe oder ähnliches abgeben muss, bin ich an dieser Stelle schon. Dann darf ich auch schon, einen halben Tag später, wieder nach Hause. Nächste und übernächste Woche werden vorsorglich noch Hals und Hirn untersucht, da darf ich mich also noch mal ins Getümmel stürzen. Dieselbe Art der effizienten Betriebsamkeit herrscht übrigens im Gesundheitsamt (wo ich meinen Versicherungsausweis beantragen musste). Zum Glück gibt es auch dort die „gelben Engel“. In einem von vielen, vielen ähnlichen Räumen reihen sich vierzig (!) Schalter aneinander, die eigentlich auch keine Schalter sind, sondern nur Abschnitte eines extrem langen Tisches mit Digitalanzeigen drüber. Dahinter die vorwiegend weiblichen Angestellten, alle in Uniform, alle mit Mundschutz, der den größten Teil ihres Gesichts verdeckt. Trotz aller augenscheinlicher Anonymität - so was wie Privatsphäre ist da nicht – links von mir wurde die Arbeitslosigkeit des Sohnes, rechts von mir die chronische Krankheit der Antragsstellerin verhandelt… Am Rande: Mein neuer Lieblingsbegriff aus einem Aufsatz zur Frauenbewegung: Yi bei shui zhu yi, wörtlich übersetzt: ein-Becher-Wasser-ismus. Kritischer (und hochsprachlicher!) Terminus, der übertragen heißt: Wenn die Beziehungen zwischen Männlein und Weiblein sich so gestalten wie beim Wassertrinken, sprich: man jedes Mal zum Durstlöschen einen anderen Becher benutzt. Sunday, 11. April 2010KoreaAuch wenn dies kerstininTAIWAN.de ist, werde ich euch heute von einer anderen (wenn auch nicht geographischen so doch defacto) Insel erzählen. Im Grunde werde ich das eine Eiland jedoch nur im Lichte meiner Erfahrungen auf dem anderen beschreiben können, womit dieser Bericht hier doch an genau der richtigen Stelle ist. Wie bereits im letzten Beitrag erwähnt, wollte ich meine eine, kostbare Ferienwoche ursprünglich damit verbringen, zusammen mit einem Kommilitonen den höchsten Berg Taiwans zu besteigen. Als unsere Wanderpläne kurzfristig ins, äh, Eis, fielen, haben wir uns aufgrund der momentan extrem günstigen Flugsituation spontan für ein anderes Extrem entschieden - und sind am darauf folgenden Tag in die Metropole und Megastadt Seoul geflogen. Gyeongbokgung, Adelspalast mitten in Seoul Unsere Woche in Seoul haben wir ruhig angehen lassen (schließlich mussten wir uns beide nebenbei von einem erschöpfenden Semester erholen), dennoch haben wir so einiges von der Stadt gesehen: alte (oder zumindest wiederaufgebaute) und weitläufige Paläste inmitten hypermoderner Hochhäuser, jahrtausende alte Kunst im Nationalmuseum, das rezente Pendant im Museum der modernen Künste, viele alte und neue Einkaufsstraßen sowie ein sehr schönes Aquarium mit unter anderem riesigen Haien und Rochen (und warum auch immer Goldfischen in Kloschüsseln). Wir sind in gut 4 Stunden auf den Hausberg Seouls Bukhansan gestiegen, der obwohl er nicht einmal 1000m hoch ist, so einiges an Kraft verzehrt. Zu guter letzt ist er sogar so steil, dass man nur mit Hilfe von Stahlseilen weiter kommt. Davon erholt haben wir uns in einem der berühmten koreanischen Badehäusern – dieses ein siebenstöckiges Exemplar bestückt mit diversen Pools, Saunen sowie einer ansehnlichen (Video-)Spielhalle inklusive Karaokeautomaten. Vor allem aber haben wir einem Hobby gefrönt, das wir mit den Taiwanesen und Koreanern gemeinsam zu haben scheinen: wir haben gegessen. Koreanisches Barbecue mit zigtausend verschiedenen Zutaten, die gemeinsam in Salatblätter gewickelt werden, Fisch mit beeindruckenden Zähnen, Berge an Kimchi (der scharfen koreanischen Version von Sauerkraut), ein edel benanntes Hochzeitsmahl mit unzählbar vielen Gängen, davon einer leckerer als der andere, frischen Aal, viel knackig-rohes Gemüse, wie es mir in Taiwan fehlt, koreanisches Sushi und (ich traue mich fast nicht, es zu schreiben, es war auch nur bedingt freiwillig) Hundesuppe. Koreanisches Barbecue - Portion für zwei Stellvertretend für alle Ausflüge möchte ich an dieser Stelle von einem berichten, der mich stark beeindruckt hat: unser Ausflug in die DMZ, den demilitarisierten Grenzbereich zwischen Nord- und Südkorea. Dieser Streifen, auf beiden Seiten der Grenze je zwei Kilometer breit, ist eine Mischung aus Naturschutzgebiet und Geschichtslehrstätte, aus viel besuchter Touristenattraktion und aktiver Armeebasis (demilitarisiert heißt scheinbar weder soldaten- noch waffenfrei). Wilde Blumen und Stacheldraht, US-Soldaten inmitten kamerabewehrter Besucher. Eine Stimmung, die irgendwo zwischen Volksfest und Trauerfeier schwankt. An einer Stelle kann man einen guten Blick auf ein nordkoreanisches Dorf werfen. Auf der Südkoreanischen Seite steht daher ein Beobachtungsposten: ein Armeeposten zuzüglich einer sehr langen Reihe an Münzferngläsern. Die Hauptarbeit der Soldaten scheint darin zu bestehen, Touristen vom Fotografieren Nordkoreas abzuhalten – oder falls sie es nicht rechtzeitig verhindern konnten, die entsprechenden Bilder mit strenger Miene zu löschen. Touristen kommen aus aller Welt hierher – bis auf aus Südkorea selbst, da Einheimische die DMZ nicht betreten dürfen. Nahe der Grenze zu Nordkorea Abgesehen von Sehenswürdigkeiten – wie war Seoul? Aufgrund praktisch nicht vorhandener Vorbereitungszeit hatten wir beide nicht viel mehr als eine sehr grobe Vorstellung von unserem Zielort. Ich für meinen Teil hatte ziemlichen Respekt vor diesem Moloch mit über 10 Millionen Einwohnern. Ich habe mir eine ungezähmte, lautgrelle und hypermoderne Stadt vorgestellt, jederzeit bereit, unvorsichtige Besucher zu verschlingen. Die Tatsache, dass der Lonely Planet, den wir im Flugzeug konsultieren konnten (und nur dort weil ihn Thomas dann im Airportbus liegen lies), Blade Runner ansprach, half dieser Vorstellung erst Recht auf die Sprünge.Umso mehr hat mich Seoul daher überrascht, in gewisser Hinsicht sogar enttäuscht. Seoul ist erstens sehr viel weitläufiger und weniger eng als erwartet. Vor allem im Vergleich zu Taipei fiel mir zunächst eines auf: Stille. Die Straßen waren nicht besonders voll und selbst wenn, scheinen Koreaner in der Öffentlichkeit eher schweigsam. Des Öfteren saßen Thomas und ich mit 50 Einheimischen in der U-Bahn und keiner sprach auch nur ein Wort. Ein wenig unheimlich. Jeder zweite hatte stattdessen ein Mobilgerät und spielte entweder Egoshooter oder schaute – dank Miniantenne – koreanische Seifenopern. Die Stille ließ meinen Gedanken viel Raum, die allgegenwärtigen Anzugträger in graue Herren zu verwandeln. Dies scheint besonders in Verbindung mit der hohen Geschwindigkeit der Stadt zutreffend (plötzlich liefen Passanten gleich schnell wie ich oder gar noch schneller – eine Unmöglichkeit in Taipei). Leider nur gibt es in Seoul keine Momo und die einzige Schildkröte, die ich gesehen habe, lebte im Aquarium und hatte zwei Köpfe. Frühe (80er) moderne Kunst aus Seoul, Pagode im Museum für moderne Kunst Neben leise sind die Südkoreaner auf den ersten Blick vor allem eines: betrunken. Am ersten Abend liefen uns auf unserem Nachhauseweg so viele Betrunkene über den Weg, dass wir uns erst einmal ziemliche Sorgen machten über den Stadtteil, in dem wir gelandet waren. Im Rückblick fiel uns dies wohl erst so richtig im Vergleich mit Taipei auf – in dem es außer vielleicht in den Nachtclubs in der Öffentlichkeit keine Betrunkenen gibt. Und keine Penner. Oder Punks. Oder. All dies gab es in Seoul plötzlich (wieder), was für uns erst einmal ein Schock war. In Seoul kann man sich Verbrechen und Gewalttaten zumindest vorstellen, ein großstädtischer aggressiver Unterton ist zumindest zu erahnen. Schnee! Neben leise und betrunken sind Südkoreaner auf den ersten Blick noch eines: extrem gut aussehend. Selten habe ich so viele attraktive wie gut angezogene Männer und Frauen auf einen Haufen gesehen. Die Koreaner scheinen noch mehr als die Taiwanesen (eine Steigerung, die ich nicht für möglich gehalten hatte) das Einkaufen zu vergöttern. In Dongdaemun, einem (von sehr vielen) Einkaufsvierteln Seouls stehen da mal eben schnell 30 mehrstöckige Shoppingcenter nebeneinander. Teilweise rund um die Uhr geöffnet. Und dazwischen breitet sich der Straßenmarkt aus. Neben Japan sind die Koreaner die Trendsetter Asiens was Mode, aber auch Musik und Fernsehserien angeht. Fast alles, was mir in Taiwan an Mode gefällt kommt aus Korea. Für Schminkprodukte gilt, habe ich mir sagen lassen, dasselbe. Kann ich mir auch gut vorstellen, da die Lieblingsbeschäftigung in der Seouler U-Bahn neben Fernsehen und Zocken das Schminken zu sein scheint. Dass so viel Wert auf das Äußere gelegt wird, hat allerdings auch seinen Preis. Dünnheit ist ein Muss und man munkelt, Essstörungen seien gang und gäbe. Dunkin Donuts hat in Seoul jedenfalls all seine Produkte mit dicken Kalorienangaben bedruckt. Und selten habe ich so viele Frauen mit Strichbeinen auf einmal gesehen. Laut einer (nach eigenen Angaben konservativen) Schätzung der BBC haben die Hälfte (!) der südkoreanischen Frauen zwischen 20 und 30 schon eine oder mehrere Schönheits-OPs hinter sich. Am häufigsten ist das operative Hinzufügen einer Augenlidfalte, um ein doppeltes Augenlid (wie wir Westler es haben) zu erzeugen. Damit wird das Auge größer – und eben westlicher. Diese OP ist auch in Taiwan extrem beliebt, noch vor der ebenfalls beliebten Vergrößerung asiatischer Nasen. Für Taiwan habe ich jedoch keine konkreten Zahlen. Kleine Straße in Seoul. Von wegen nur Hochhäuser... Traditionelle Häuser und kleine Läden sind weit verbreitet Seouler in der Öffentlichkeit sind also leise, betrunken und attraktiv. Seltsamerweise fühlte ich mich in dieser Umgebung schnell heimisch. Obwohl ich keine Schilder lesen konnte (das koreanische Alphabet hatte ich erst am Ende der Reise so einigermaßen im Kopf und das alleine hilft auch nur bei wenigen internationalen Begriffen, wie z.B. Cappuccino) und mich leider mit den wenigsten Menschen unterhalten konnte (in Korea sprechen sehr viel weniger Menschen Englisch als in Taiwan), fühlte ich mich an öffentlichen Orten paradoxerweise sehr viel weniger fremd als in Taiwan. Hier in Taipei fühle ich mich zwar wohl und zu Hause, bin mir meiner Fremdheit aber ständig bewusst. Seoul dagegen ist eine saubere und moderne Stadt voll glänzender Eleganz, westlicher Ketten und anonymer Großstädter wie sie einem auch in New York begegnen könnten. Das hat einerseits was angenehmes (keiner starrt einen an, alle benehmen sich ähnlich wie man selbst (Stichwort Habitus)), andererseits auch etwas abweisend Steriles. Noch bin ich mir nicht sicher, ob mir diese Stadt gefällt. (Ironisch finde ich nebenbei bemerkt, dass weder ich noch einer meiner Mitstudenten trotz regelmäßigem Verzehr von am Straßenrand gekauften Produkten in dem alles andere als sterilem Taipei jemals Vergiftungserscheinungen zeigte.) Alt und neu wechseln sich in Seoul ab. Seoul hin oder her – die Menschen in Seoul gefallen mir sehr. Selbstverständlich haben nämlich auch diese mehr als eine Oberfläche. Von dem, was darunter liegt, habe ich nur einen ersten Eindruck bekommen, bin aber gespannt auf mehr. Auch wenn sie anfangs vor allem im Vergleich zu den Menschen in Taiwan sehr kühl und abweisend scheinen, sind sie auf den zweiten Blick unglaublich warmherzig und hilfsbereit. Ein Beispiel, das für viele unerzählte stehen soll: eine junge Mutter, mit der ich praktisch nur in Gesten kommunizieren konnte, nahm für mich, nachdem ich sie nach dem Weg gefragt hatte, einen weiten Umweg auf sich. Den letzten Teil des Wegs legte sie rennend zurück, ließ dabei beinahe ihren Kleinsten zurück, der mit ihr und seinem älteren Bruder nicht mithalten konnte. Hektisch kaufte sie mir zuletzt eine Tramkarte - nur um sicherzustellen, dass ich noch rechtzeitig vor Torschluss ins Kunstmuseum komme. Und das alles mit einem Lächeln. Seoul erschien mir insgesamt zugleich wilder und geordneter, gröber und raffinierter, kälter und heimischer als Taipei, so ganz fassen kann ich die Stadt noch nicht. Insgesamt hat mir Korea sehr gut gefallen, eines Tages möchte ich auf jeden Fall wiederkehren, um Seoul genauer fassen zu können und vor allem um auch das Land jenseits der Metropole kennen zu lernen.
Kerstin
Blick auf Seoul vom Gipfel des Bukhansan Was wir von den Koreanern lernen sollten: Badehäuser in koreanischen Dimensionen zu koreanischen Preisen - Spielhallen mit Karaokekabinen - Fußbodenheizungen in Hostels wie Restaurants - das auf dem Boden Sitzen in selbigen - Liebe zum Essen - mindestens 5 verschiedene Beilagenteller selbst in günstigsten Fastfoodrestaurants zu servieren – beheizte U-Bahn- und Klositze – herzerwärmende Freundlichkeit gegenüber verwirrten Ausländern
Am Rande: Die Welt ist einfach klein. Eines Abends saß ich im Hostel und habe mit Thomas, dem Texaner, Sam, dem koreanischen Hostelmitarbeiter, sowie einem anderen Gast aus Hongkong Fußball geschaut, Manchester gegen Liverpool. Nach einigen Dosen koreanischen Biers, gegen später, weil man das in Korea so macht, gemischt mit dem koreanischen Nationalgetränk Soju, kamen wir auf die Weltmeisterschaft 2006 zu sprechen. Und haben festgestellt, dass nicht nur ich sondern sowohl Thomas als auch Sam, obwohl sie sonst wenig mit Deutschland am Hut haben, die WM in Freiburg erlebt haben. In FREIBURG, ausgerechnet. Der Hongkonger war immerhin schon einmal dort gewesen.
Im Hostel. Oben Mitte Thomas, oben rechts einer der beiden sehr warmherzigen Hostelmitarbeiter. Die anderen Gäste kommen aus Hongkong und Taiwan... Zufällig haben wir uns ein Hostel ausgesucht, dessen Besucher zu 85% Taiwanesen sind Ansonsten noch nachträglich FROHE OSTERN an alle!
Saturday, 20. March 2010Halbzeit mit Oma UrselBlick auf das 101 - Wo ai taiwan Es ist Halbzeit. Vor knapp sechs Monaten bin ich in einer unüberschaubar großen, chaotischen und vor allem fremden Stadt angekommen. Inzwischen ist mein Taipei nicht nur geschrumpft und zumindest etwas geordnet, sondern zu einer Heimat geworden. Ich fühle mich wohl in dieser Stadt, in diesem Land. Taipei ist eine bunte und lebendige Stadt, ständig in Bewegung, gleichzeitig fühle ich mich hier so sicher als wäre ich in einer süddeutschen Kleinstadt. Vielleicht sogar sicherer. Außer aufgrund wild kurvender Taxis oder Mopeds auf der Straße kenne ich kein Gefühl der Mulmigkeit, fühle mich zu jeder Tages- und Nachtzeit gut aufgehoben. Wenn ich einen Taiwanesen frage, was an Taiwan und vor allem Taipei besonders toll sei, bekomme ich gut wie immer als eine der ersten Antworten, Taiwan sei so fangbian, so praktisch. Vor einem halben Jahr fand ich das eine ziemlich unromantische Beschreibung. Es klang für mich ein bisschen danach, als würde meinen Gesprächspartnern kein so richtig positives Adjektiv einfallen. Inzwischen ahne ich jedoch die wahre Relevanz von fangbian. An jeder Ecke drängen sich kleine Restaurants und Stände, die Köstlichkeiten aller Art verkaufen. Ich brauche nur aus meiner Haustür stolpern und habe sofort eine breite und günstige Auswahl an frisch zubereiteten Köstlichkeiten. An jeder Ecke steht ein 7-11, eine moderne Art Tante-Emma-Laden mit erweitertem Tankstellenshop-Sortiment. Diese Läden sind 24 Stunden lang geöffnet und häufig in Sichtweite voneinander. Will ich der Schlaflosigkeit und Betonhaltigkeit der Stadt für eine Weile entfliehen, setzte ich mich in die U-Bahn oder einen Stadtbus und fahre in weniger als einer Stunde an den Meereshafen in Danshui, in die Berge des Yangmingshans-Nationalparks oder zu den heißen Quellen und türkisfarbenen Bergflüssen in Wulai. Will ich noch weiter weg, gehe ich zu einer der vielen Fernbusfirmen und steige in den nächsten Fernbus. Diese Busse mit Fernsehsesselsitzgröße fahren für wenig Geld alle größeren oder auch kleineren Städte Taiwans im 10 bis 30 Minuten Takt an. Insgesamt alles besonders schön für so Menschen wie mich, die nicht so gerne ewig lange im Voraus planen. Pünktlich zur Halbzeit hat mir Taipei im Übrigen noch das herbeigezaubert, was mir bisher zu meinem Glück hier fehlte: auf meinem Nachhauseweg von der Uni hat ein neues Geschäft aufgemacht: Oma Ursels deutsche Bäckerei. Mit echtem Brot. Brötchen. Brezeln. Laugenwecken (!). Berlinern. Apfelstrudel. Das war ein Gelage, sage ich euch! A propos bequem und nicht so gerne planen: Diese Woche hatte ich meine Abschlusspräsentation für dieses Quartal. Meine eine Woche Semesterferien wollte ich eigentlich mit Bergsteigen und Wandern verbringen. Leider habe ich am Donnerstag aber erfahren, dass der Nationalpark, in den wir wollten, aufgrund von Schneefall bis auf weiteres komplett abgesperrt ist. Nach erstem Frust haben wir uns gestern jedoch schnell umorientiert… und so fliege ich NACHHER mit einem Kommilitonen für den Preis einer Bahnfahrt von Freiburg nach Hamburg für eine Woche nach KOREA. Ich brauche wohl kaum erwähnen, dass ich unglaublich aufgeregt bin? Und werde natürlich berichten! Friday, 12. March 2010Ich geh mit meiner Laterne
Lieblingsbeschäftigung neben dem Essen: Essen fotographieren Den Abschluss des chinesischen Neujahrs bildet am 15.01. (nach dem Mondkalender) das Laternenfest. Der Tag wird je nach Ort mit verschiedensten Aktivitäten begangen, deren einzig gemeinsamer Faktor Laternen – oder in Ermangelung solcher wenigstens Feuerwerk sind. In Taiwan sind zwei Orte für ganz besondere Feierlichkeiten anlässlich des Laternenfests berühmt: Yanshui und Pinxi. Letzteres aufgrund sehr traditioneller Feierlichkeiten, ersteres aufgrund sehr… spektakulärer Feierlichkeiten. In Yanshui werden nämlich in Erinnerung an das erfolgreiche Besiegen einer Cholera Epidemie im vorletzten Jahrhundert riesige Mengen an Feuerwerk und Böllern abgeschossen. Soweit noch nicht spektakulär – allerdings werden die Böller nicht in den Himmel, sondern in die (über 100 000 Menschen zählende) Menschenmasse geschossen. Obwohl so gut wie alle Besucher vorsorglich mit Motorradhelmen, Lederjacken über mehreren Lagen feuerfester Kleidung, Handschuhen und zum Teil sogar Schutzschilden ausgestattet sind, sind wohl jedes Jahr ein paar verlorene Augen, Ohren oder Gliedmaßen zu beklagen. Und jedes Jahr werden es mehr Teilnehmer. Die spinnen, die… Da Sabine eh schon gesundheitlich angeschlagen war und wir ja außerdem so langsam zur vernünftigen Generation gehören (sollten), haben wir uns für die ruhige und traditionelle Variante des Laternenfests im kleinen Ort Pingxi im Norden Taiwans entschieden. Dort werden tausende riesiger Papierlaternen nach dem Heißluftballonprinzip in den Nachthimmel entlassen. Auf jeder den Göttern entgegen schwebenden Laterne steht ein Wunsch für das neue Jahr – oder auch gleich mehrere. Ein Himmel voll glühender Wünsche, eine künstliche Milchstraße menschlicher Hoffnungen: ein Ereignis, das zum Träumen anregt. Allerdings hatten in diesem Jahr nicht nur wir Lust auf Träumen, sondern noch 250 000 anderen Menschen, darunter auch der taiwanesische Präsident Ma Ying-Jeou höchstpersönlich. Ruhig war es also nicht. Und so ganz entspannt auch nicht. Stehen auf einer Laterne zu viele Wünsche, oder ist der Wunsch unverhältnismäßig, wird die Laterne von der göttlichen Schwerkraft zurück zur Erde geholt. In Pingxi schienen in diesem Jahr viele Leute nicht zu wissen, was ihnen zusteht. Und so malerisch eine Laterne am Himmel ist, ein mannshoher Papierballon mit Feuerantrieb ist in einer extrem dichten Menschenmenge weniger willkommen. Manche Teilnehmer versuchten zudem, ihren Wünschen bei den Göttern mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, indem sie Feuerwerkskörper an ihre Laternen hefteten und diese mitten in der Menge zündeten. Um das Ganze noch ein bisschen abwechslungsreicher zu machen, führt auch noch die Zuglinie nach Pingxi mitten durch das Hauptveranstaltungssträßchen. Ca. alle halbe Stunde wurde die Menge daher noch gedrängter, während Besucher versuchten, rechtzeitig von den Gleisen herunterzukommen. So richtig langsam fuhren die Züge nämlich nicht. Laternenfest in Pingxi Trotzdem oder auch gerade deswegen war das Laternenfest wirklich sehenswert. Besonders beeindruckt haben mich neben dem erleuchteten Nachthimmel die Taiwanesen selbst. Trotz der Menschenmassen blieben alle freundlich und fröhlich. Und auch das mehrstündige Anstehen am späten Sonntagabend, um einen der Busse oder Züge zurück nach Taipei zu erwischen, wurde nicht nur gleichmütig akzeptiert, sondern die Stimmung blieb durchweg gut. Selbstverständlich haben auch wir eine Laterne gezündet. Es wundert mich allerdings ein bisschen, dass sie es tatsächlich in den Nachthimmel geschafft hat, war sie doch ziemlich schwer beladen mit allerlei Wünschen von Weltfrieden bis Weltmeisterschaft. Unter der Woche haben wir dann abends noch eine Laternenausstellung anderer Art in Taipei angeschaut. Hunderte riesiger Laternen, aus bunten Stoffplanen zusammengenäht, strahlten um die Wette. Von allerlei Tigervarianten (wir haben ja schließlich das Jahr des Tigers) bis Spongebob Squarepants in Übergröße war alles dabei. Laternenfest in Taipei
Am Rande 1: A propos geduldiges Schlangestehen. Drüben auf dem Festland sieht das ganz anders aus. Schlangestehen gehört definitiv nicht zu den chinesischen Tugenden. Mitstudenten, die vor den olympischen Spielen in Peking studiert haben, haben mir allerdings von sehr langen, gesitteten Schlangen überall in der Stadt erzählt. Die allerdings nirgends hinführten. Was zunächst mysteriös erscheint, entpuppt sich schnell als besondere Maßnahme der chinesischen Regierung. Einmal im Monat wurde an öffentlichen Orten das Schlangestehen geübt. Teilnehmern wie Zuschauern sollte damit im Vorfeld der Spiele zivilisiertes Benehmen beigebracht werden. Inwiefern das Konzept Erfolg hatte, kann ich leider nicht berichten. Am Rande 2, ausnahmsweise: Taiwan hält einen traurigen Rekord: es ist momentan das Land mit der weltweit niedrigsten Geburtenrate. Vielleicht sollte sich das Land von seinen Nachbarn inspirieren lassen? Das südkoreanische Gesundheitsministerium beispielsweise hat eine geniale Maßnahme ins Leben gerufen, um der ebenfalls extrem niedrigen Geburtenrate im Lande entgegenzusteuern: Einmal im Monat werden Mittwoch Abend um 19.00 alle Lichter im Ministerium ausgeschaltet, um Angestellte dazu zu bringen, früh (schon um sieben…) nach Hause zu gehen und sich fortzupflanzen. Kein Witz. Ein Neidfoto zum Abschluss: Strand in Kenting, im Süden Taiwans
Tuesday, 23. February 2010Der Krebs spielt MahjongWährend ich das hier schreibe, sitze ich in meinem kleinen Zimmer in den Subtropen und trage unter anderem zwei Paar Wollsocken, einen Schal, zwei Pullover, eine wattierte Jacke und eine Steppdecke. Pünktlich zum Ferienbeginn vor einer Woche sind die Temperaturen hier auf Dezemberniveau zurück gefallen und Petrus hat alles, was er an Wolken und Wasser aufbieten kann, gerecht über der ganzen Insel verteilt. Zocken am letzten Abend des alten Jahres...
Musik für die Wasserbüffel
Am Rande: Die schon einmal erwähnte Tageszeitung Taipei Times hat augenscheinlich eine Vorliebe für Fotos südkoreanischer Soldaten beim Training. Mal springen sie in der Gruppe händchenhaltend ins eisige Meer, mal tanzen sie auf dem Schlachtschiff zu sorry sorry sorry (kein Witz!). Immer aber sehen sie dabei sehr gut aus - und immer haben die Bilder absolut nichts mit den sie umgebenden Artikeln zu tun...
Friday, 12. February 2010Der rote Advent Eine Woche voller Prüfungen geht zu Ende und ich bin fix und fertig – und glücklich, weil ich nun eine ganze Woche frei bekomme. Am morgigen Samstag ist nämlich der letzte Tag des chinesischen Mondjahres, am Sonntag beginnt das Jahr des Tigers. Da das chinesische Neujahr in seiner gesellschaftlichen Bedeutung ungefähr unserem Weihnachtsfest entspricht, muss in der nächsten Woche niemand arbeiten - oder lernen. Soweit es nur irgend geht, fährt jeder Taiwanese (oder auch Chinese) in dieser Zeit zu seiner Familie. Man sagt, Taipei verliere in dieser Woche über die Hälfte seiner Einwohner, so gut wie alle Läden haben geschlossen. Diese Geisterstadt werde ich allerdings nicht erleben, da ich morgen früh mit 1,5 Millionen anderen nomadierenden Hauptstädtern gemeinsam per Bus Richtung Süden aufbrechen werde. Ich werde die Feiertage wie es sich gehört mit meiner (Gast)familie in Tainan bzw. zum Teil mit den (Gast)großeltern in Pingdong verbringen. Selbstverständlich werde ich berichten! Und: Ich freue mich schon auf den Stau. Neujahrsmarkt in der Dihua-Straße, Taipei Dementsprechend verhält sich auch die chinesische Version eines Weihnachtsmarktes. Nach Abschluss meiner letzten Prüfungen am Donnerstag bin ich mit einem ganzen Haufen Kommilitonen zu einer der ältesten Straßen Taipeis gefahren. In dieser werden traditionelle chinesische Medizin sowie verschiedenste Leckereien verkauft. Auch zu normalen Zeiten schon ziemlich belebt, wird die Dihua Straße in den Wochen vor dem chinesischen Neujahr zu einem Getümmel, das jeden Weihnachtsmarkt übertrifft. Zusätzlich zu den schon vorhandenen Läden drängt sich nun Stand an Stand. Marktschreier mit Megafonen in der Hand erheben sich aus dem Menschenmeer empor, indem sie mitten in der engen Gasse Leitern aufstellen. Verkaufsassistenten in Kostümen aller Art versuchen Passanten mit schmeichelnden Worten oder auch handfesten Gesten zu bestimmten Ständen zu treiben, strandgutgleich bleibt einem nichts anderes, als sich von der Menge mitspülen zu lassen. Links getrocknete Tintenfische, rechts gigantische Säcke voll Haselnuss und Mandelkern, ein Stückchen weiter links taiwanesischer Oolong Tee, rechts riesige Bottiche mit echt deutschen Gummi-Süßigkeiten. Alles was an Ess- oder Trinkbarem angeboten wird, kann man vor dem Kauf auch probieren, ein unablässiger Reizfluss also nicht nur für Augen und Ohren, sondern auch für die Zunge.
Sowohl ich als auch der Mahjong-Spielstein im Tigerlook wünschen euch ein gutes neues (chinesisches) Jahr!
Am Rande: Wo wir heute beim Thema Rot sind: alle in den 80ern Geborenen gehören hier der Erdbeergeneration an. Das hat nichts mit Tier- oder etwaigen Obstkreiszeichen zu tun, die Erdbeere gehört in die Reihe Golf, X und Praktikum. Weder aufgrund unseres ansprechenden Äußeren noch unseres süßen Inneren werden wir jedoch so genannt… Erdbeeren kommen bekannterweise häufig aus geschützten Gewächshäusern und dellen schon beim kleinsten Druck ein. Hmpf. Saturday, 6. February 2010BieridentitätenZum ersten Mal seit einigen Jahren bin ich plötzlich wieder die Deutsche. Meine Freunde hier sind größtenteils Amerikaner, dazu ein paar Taiwanesen und ein, zwei Europäer. Was ich anziehe, was ich esse, was ich sage, was ich tue – alles wird zu einer Repräsentation der Deutschen. Deutsche ziehen sich eleganter an als Amerikaner und bodenständiger als Taiwanesen. Deutsche essen gesünder sowohl als Amerikaner als auch Taiwanesen. Deutsche sind pünktlich, zuverlässig und fleißig. Deutsche mögen Ironie. Deutsche trinken gerne Bier. Deutsche sind höflicher und zurückhaltender als Amerikaner und direkter und offener als Asiaten: ich bin ein wandelndes Stereotyp.
Abends am Danshui Fluss Es ist allerdings keineswegs nur so, dass andere mich durch eine schwarz-rot-gold gefärbte Brille hindurch betrachten. Vielmehr bemerke ich an mir selbst Tendenzen, mich in die Deutschen-Schablone hineinzuquetschen. Immer wieder bestärke ich selbst die Vorurteile (of course (I'm on time / like cake...), I’m German). So trinke ich beispielsweise hier häufiger Bier als in Deutschland – was zwar auch an der Mädchenbierhaftigkeit der hiesigen Marken liegen mag, aber eben auch daran, dass man das als Deutsche(r) so macht. Es wird von mir hier nicht anders erwartet und in einer seltsam verqueren Logik gibt es mir ein Zugehörigkeit Gefühl zu EUCH, die ihr das hier liest, derartige Erwartung zu erfüllen. Es grenzt mich ab von puritanischen Amerikanern wie alkoholunverträglichen Taiwanesen. Das Biertrinken soll an dieser Stelle selbstverständlich nur als besonders anschauliches Beispiel dienen, der beschriebene Prozess lässt sich auf alles mögliche andere übertragen. Ich bin hier nicht nur German, sondern gleich crazy German. Besonders Amerikaner scheinen der Meinung zu sein, dass Germans vor allem durch dieses eine Adjektiv zu beschreiben sind. Selbst dieses Vorurteil schaffe ich, zu erfüllen, was zugegebenermaßen auch nicht besonders schwierig ist. Als der ICLP Karaoke-Kurs eines Freitagabends endlich einmal gemeinsam in einen echten Karaoke-Club gegangen ist um das Geübte anzuwenden, habe ich alle Vorurteile bestätigt. Ich habe a. (ein?) Bier getrunken und war b. dafür zuständig, die Biere aller anderen Biertrinker zu öffnen, weil mangels Flaschenöffner kein anderer dazu in der Lage war. Die crazy German, die Bierflaschen ua mit Essstäbchen öffnet, hat alle schwer beeindruckt. Auch die Geschichte von dem crazy German alcohol, die ich einem Mitstudenten zu seinem 21. Geburtstag geschenkt habe, hat schon die Runde gemacht (ein 0,02L Fläschchen Schwarzwälder Kirschwasser…). Wisst ihr, was ich in Sachen Heimat im Moment am meisten vermisse? Von Menschen abgesehen, meine ich. Nein, es sind weder Brezeln noch Kartoffelgerichte… und noch nicht einmal der sonnengereifte badische Wein. Es ist der Schwarzwald und die Rheinebene. Also sogar so etwas wie konkrete „Heimat“. Vor kurzem war ich hier im größten Park der Stadt joggen, wie meistens unter bewölktem Himmel, von Autolärm und Menschen umgeben. An einem Ende des Parks gibt es eine kleine Inlineskatefläche. Wie eine Eisbahn nur eben ohne Eis. Ich stand dort ein Weilchen und schaute den Kindern beim Fahren zu. Dabei spürte ich nicht nur mein Herz, sondern meinen ganzen Körper schwer werden. Wie viele Sonntage habe ich damit verbracht, stundenlang unter der Freiburger Sonne mit meinen Inlineskates durch die Gegend zu fahren? Einfach aus der Haustür raus, an der Dreisam entlang und darüber hinaus, je nach Laune Richtung Schwarzwald oder Richtung Rheinebene und Frankreich. Durch Felder, Wälder, Wiesen und Dörfer, einfach so, kilometerweit, bis ich entweder keine Lust oder Luft mehr hatte. Diese Bilder und das damit verbundene Gefühl von Freiheit in meinem Kopf passten so gar nicht zu der kleinen, von Menschen überfüllten Betonfläche vor meinen Augen.
Am Danshui-Fluss Um fair zu sein: auch in Taipei gibt es nicht nur einen, sondern gleich mehrere Flüsse. Auch an diesen führen Radwege entlang, die zumindest streckenweise für eine Großstadt auch anständig von grün umgeben sind. Aber die großen Freeways sind nie fern und vor allem am Wochenende die anderen Ausflügler auch nicht. Um mich ein wenig von meinem Skate-Entzug abzulenken, bin ich letzten Samstag mehrere Stunden lang alleine am Danshui-Fluss entlang gefahren. Oder eben ganz und gar nicht alleine. Das Radfahren in Kolonne hat es nicht geschafft, mir meine Sehnsucht zu nehmen. Heute, Samstag, habe ich den Nachmittag und Abend in einem meiner Lieblings-Cafés zugebracht, um a. dem Regen und b. meinem kleinen Zimmer zu entfliehen während ich mich auf meine Midterm-Prüfungen nächste Woche vorbereite. Da das Konzept Café aus Europa importiert ist, ist auch dieses Café wie die meisten hier sehr europäisch anmutend. In gepolsterten Ledersesseln an Holztischen mit grünen Glaslampen darauf, umgeben von Regalen voller Bücher, Jazz und Klassik im Hintergrund, lässt es sich sich im La Bohème gut lernen. Und auch wenn die Bücher in diesem Café auf Chinesisch sind, sind es die meisten Autoren nicht: von Durkheim über Kundera bis zu Abhandlungen über das Genre Schwulenfilm im 20. Jh ist alles dabei, was man scheinbar als moderner Intellektueller so zu lesen hat. Eine Heimweh verdrängende Oase? Zumindest bis die Bedienung fragt, ob ich meinen Cappuccino warm oder kalt möchte. Liebe Grüße aus Taipei!
Am Danshui Fluss
Am Rande: Die Taipei Times, große englischsprachige Tageszeitung, bringt uns täglich neben der Wettervorhersage auch die aktuelle lunar prophesy – also das, was laut chinesischem Mondkalender an diesem Tag unter einem oder keinem besonders guten Stern steht. Da steht dann zum Beispiel: Today is a good day for: Cutting cloth for a bride’s dress, bathing, oder: Today is a bad day for: removing mourning clothes, all auspicious activities. Neulich standen wir eines montagmorgens im Aufenthaltsraum der Uni und erfuhren die Tagesagenda: Today is a good day for: putting people in coffins.
Sunday, 24. January 2010SchwarzHeute mal ein Sonntagsroman… der Lesbarkeit halber in Häppchen aufgeteilt
Am Rande: Schwarze Arbeit Gestern hat mir eine Englisch-Lehrerin für Kindergartenkinder von Fluchtübungen erzählt, die sie regelmäßig absolviere. Vom Dach des Kindergartens aufs Nachbardach. Von dort aufs nächste Dach, runter in den dortigen Innenhof, über drei Zäune hinweg auf die Straße. Ein ausgefeilter Erdbebenschutzplan? Angst vor bewaffneten Überfällen? Vor rabiaten Eltern? Schlichte Kinderphobie? Weit gefehlt. Es ist die Angst vor der Polizei, die sie und ihre Kollegen treibt. Englisch schon im Kindergartenalter zu unterrichten, ist hier nämlich seit einiger Zeit illegal. Weil Studien anscheinend gezeigt haben, dass ein solches Treiben wenig bringt, die Kinder sogar eher überfordert. Da die Eltern Taiwans sich da aber nicht ganz so sicher sind, wird hier trotzdem in jedem Kindergarten Englisch unterrichtet. Nur dass eben immer mal wieder die Polizei auf eine kleine Razzia vorbeikommt. Wird man dort als Ausländer beim Englisch Unterrichten erwischt, kann man sofort des Landes verwiesen werden. Also eben ausgeklügelte Fluchtpläne. Oder ausgefeilte Ausreden. Andere Lehrer haben mir von solch genialen Maßnahmen wie vorsichtshalber in der Ecke gestapelten Pizzakartons (ich bin nur der Pizzalieferant, ehrlich!) erzählt. Wie letzteres funktionieren soll ist mir allerdings schleierhaft – wenn 30 Vierjährige daneben stehen und teacher, teacher rufen... |
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