Heute mal ein Sonntagsroman… der Lesbarkeit halber in Häppchen aufgeteilt
Schwarzer Himmel
Letzte Woche hatten wir 3 GANZE TAGE SONNE – hintereinander! Ich bin hin und weg und möchte daher diese Gelegenheit nutzen, um euch kurz meinen Campus vorzustellen. Im Sonnenlicht sieht alles erstens gleich dreimal so gut aus – und zweitens kann ich so beim Bilder aussuchen selbst ein wenig in guten Erinnerungen schwelgen. Die Sonne hat sich nämlich inzwischen schon wieder tief verschleiert.
Die National Taiwan University, die immerhin schon 82 Jahre auf dem Buckel hat, hat verschiedene Campuse – laut Wikipedia machen diese insgesamt ca 1% des ganzen Landes aus (und das, obwohl es neben der Taida noch eine unüberschaubare Anzahl anderer Unis gibt). Ich studiere auf dem Hauptcampus mitten in Taipei. Es ist eine Art grüne Insel mitten in der Stadt, voll palmengesäumter Alleen mit unzähligen Radfahrern, dazu Teiche und Pavillons. Ein beliebtes Naherholungsziel der Städter.
Schwarze Zukunftsaussichten
A propos Uni. Dass das taiwanesische Bildungssystem sehr auf Tests fixiert ist, mag ich schon mal erwähnt haben. Es gibt ständige Prüfungen: Wochenprüfungen, Monatsprüfungen, Halbsemesterprüfungen, Semesterendprüfungen. Ein Grundschüler lernt des Weiteren monatelang für die Eingangsprüfung zur Mittelschule, ein Mittelschulschüler für die Eingangsprüfung zur Highschool und ein Highschooler für den großen Universitätseingangstest. Da die Tests jeweils eine unglaubliche Menge an (auswendig gelerntem) Wissen erfordern, aber jeweils die Qualität der nachfolgenden Schule und damit den weiteren Werdegang des Lernenden bestimmen, hat man hier bis man 18 (und hoffentlich auf der Uni) ist kein Leben in unserem Sinn. Selbst das Fach, das man an der Uni studiert, wird häufig von Testergebnissen und nicht von eigenen Interessen bestimmt. So sind auch meine Lehrerinnen zumindest teilweise dem Sprachenstudium zugeteilt worden. Eine Lehrerin erzählte mir, wie froh sie sei, nicht in BWL gelandet zu sein – sie sei eine Matheniete. Mit chinesischer Linguistik dagegen habe sie sich anfreunden können. Diejenige, die so gute Ergebnisse haben, dass sie sich tatsächlich ein Fach aussuchen können, haben dann noch das zweite Problem, dass oft die Eltern den Bewerbungsbogen für die Kinder ausfüllen – und die Wünsche der zukünftigen Studenten da nicht immer eine große Rolle spielen. Dementsprechend motiviert sind hier auch viele Studenten...
Jedenfalls: Nicht nur um an eine bestimmte Schule zu dürfen, auch um einen bestimmten Arbeitsplatz zu bekommen muss man zunächst die dazugehörige Prüfung bestehen. Gestern aber haben es die Taiwanesen mal wieder geschafft, mich zu überraschen. Es ging im Unterricht darum, dass es in Taiwan inzwischen viel zu viele gut ausgebildete Menschen und zu wenig Arbeit für diese gibt. Viele Master-Absolventen und sogar Inhaber eines Doktortitels arbeiten daher in einfachen Jobs. Besonders beliebt sei unter anderem der Job des Müllmanns, weil das immerhin eine Stelle im öffentlichen Dienst mit regelmäßigem Verdienst und sozialer Absicherung sei. Leider aber würden nicht alle Doktoren die Eingangsprüfung zum Müllmannberuf schaffen. Dazu gehöre unter anderem, mit einem 20kg Sack in den Armen mehrfach hin- und her zu rennen.
Schwarze Menschen I
Dass Taiwanesen extrem rassistisch sind, habe ich schon mehrfach seit ich hier bin, erfahren müssen. Auch wenn sie etwas seltener als bei den Festlandchinesen auf der anderen Seite der Taiwanstraße aufkommen, die Themen Blut, Rasse und Volk sind hier gängige Begriffe und beliebte Gesprächsthemen. Immer wieder erzählen mir beispielsweise Taxifahrer, wie gut es sei, dass ich einer der „guten“ weißen und nicht der „schlechten“ arabischstämmigen – oder noch viel schlimmer richtig „schwarzen“ Ausländer sei. Gut, Taxifahrer sind ja so eine Sache. Letzte Woche allerdings hatten wir eine Diskussion über Rassismus im Unterricht – wo es mal wieder eine Lehrerin geschafft hat, mir allen Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie selbst sei ganz und gar nicht rassistisch. Sie habe zwar eine Phobie, aber das sei schließlich etwas vollkommen anderes. Wie sich diese Phobie äußere? Als sie zum Beispiel in die USA geflogen sei, wo sie immerhin ein Jahr verbracht hat, habe sie vor dem Flug vor Angst nicht schlafen können. Angst hatte sie allerdings nicht vor einem Flugzeugabsturz, sondern davor, dass sich ein dunkelhäutiger Mensch im Flugzeug neben sie setzen könnte und sie für Stunden neben diesem gefangen sei. Sie habe nämlich unglaubliche Angst davor, einen solchen Menschen aus Versehen zu berühren – aus Angst, dieser färbe ab und ihre Haut werde dadurch automatisch ebenfalls dunkler. Vielleicht ist es fairerweise auch eher eine Art Naivität als echter Rassismus – wobei ich nicht wüsste, wo genau die Grenze zwischen beiden zu ziehen ist. Ein dunkelhäutiger Englischlehrer hier erzählte von einem Pärchen, dass ihn beim Kaffeetrinken in einem Café nicht nur unablässig angestarrt habe – sondern als er gegangen sei sofort seinen Platz genauestens untersucht habe, ob seine Haut nicht vielleicht doch irgendwo Spuren verlassen habe.
Schwarze Menschen II
Als Gegenbild zum Schirmbild im letzten Eintrag sollen die obigen beiden Bilder dienen. Mit der Sonne verschwinden nämlich die Schirme nicht – im Gegenteil. Helle Haut ist absolutes Schönheitsideal. Dunkel geht wie gerade schon beschrieben gar nicht. Schirme mit UV-Beschichtung sind da das mindeste – im Sommer wickelt sich manch eine Dame hier zusätzlich in lange Kleidung inklusive Handschuhe ein – und das bei schwülheißen subtropischen Zuständen. Manch eine schlingt sich gar einen Schal übers Gesicht. Im Supermarkt habe ich häufig große Probleme, eine Hautcreme zu finden, die KEINE Bleichungsmittel enthält.
Schwarze Musik
In den letzten Beiträgen habe ich euch ja schon einen kleinen Einblick gegeben in die Musik, die hier gerade angesagt ist. Gottseidank gibt es neben weichgespültem koreanischen und Mando-Pop auch noch anderes. Taipei hat sogar eine relativ lebendige Musikszene. Eine Band vom ganz anderen Ende des Spektrums ist beispielsweise Chthonic. Chthonic ist nicht nur die bekannteste Metal-, sondern sogar Black-Metalband Taiwans. In ihren Texten geht es statt um die in Europa übliche christlich-heidnisch-satanistische Thematik um die Götter und Helden der taiwanesischen Gesichte. Wenn Chthonic nicht gerade auf einer der verschiedenen taiwanesischen Ureinwohnersprachen, auf Taiwanesisch oder auf Englisch singen, singen sie gerne auf klassischem Chinesisch – das ist ein bisschen so, als würde man bei uns auf Latein singen. Außerdem benutzen sie eine Erhu, ein traditionell chinesisches Saiteninstrument. Politisch stehen sie für die Unabhängigkeit Taiwans, weswegen ihre Musik anscheinend auch in weiten Teilen Chinas verboten ist.
Woher mein plötzliches Interesse an Metal? Ist eine etwas längere Geschichte…
Vor einer Woche am Sonntag Abend fand hier ein Konzert einer finnischen Metalband (Ensiferum) mit einer taiwanesischen Band (nicht Chthonic) als Vorband statt. Eigentlich wollte ich mit meiner Mitbewohnerin hingehen, bin dann aber doch zu Hause geblieben, um, brave Studentin die ich nun mal (leider?) bin, meine Übersetzung aus dem klassischen Chinesisch ins moderne und einen Aufsatz über Einwanderungspolitik zu vollenden. Habe ich danach ziemlich bereut… Nicht nur, dass das Konzert wohl sehr spaßig war, sondern mir ist dadurch auch so einiges an sehr interessanten Gesprächen entgangen.
Mitten in der Nacht wurde ich nämlich von einem Anruf Karens, meiner amerikanischen Mitbewohnerin, aus dem Schlaf gerissen. Sie hieß mich und Theresa, meine taiwanesische Mitbewohnerin, sofort aufstehen und sie in einer Bar in der Nähe aufsuchen. Sie hänge gerade mit lauter Metalern rum, es sei unglaublich toll und wir könnten uns diese Chance auf keinen Fall entgehen lassen. Meine erste Reaktion war: du hast wohl zu viel getrunken – ich schlafe! Nach dem Auflegen habe ich allerdings feststellen müssen, dass ich plötzlich hellwach war. Also habe ich Theresa, die noch wach war, aufgesucht und nach ein paar Minuten Diskussion (Sie: Karen hat so was noch nie gemacht, das muss was Besonderes sein. Ich: Sollen wir vielleicht hingehen? Sie: Ich gehe nicht, aber du solltest unbedingt gehen! Ich: Ich gehe nicht ohne dich! Etc) haben wir unsere Schlafanzüge gegen die am schnellsten greifbare Kleidung getauscht und sind auf zur Bar. Dort saß Karen mit Ensiferum und Chthonic, die 2007 mit Ensiferum auf Europatournee waren und nun die Finnen in Taipei herumführten. Beide Bands haben im Übrigen schon in Wacken gespielt (nb: falls jemand den Film Full Metal Village nicht kennen sollte: unbedingt anschauen!). Fragt nicht, Karen kann so was einfach. Leider ist Chthonic dann ziemlich bald gegangen, so dass ich nicht besonders viel mit ihnen reden konnte. Dafür dann umso länger mit den Finnen. An sich Klischee-Metaler, wie man sie sich kaum besser ausdenken könnte. Aber, natürlich, harte Schale… Wir saßen bis morgens früh erst in der Kneipe, dann mit der halben Band in unserem Wohnzimmer. So kam es, dass ich mitten in Taipei bis zum Morgengrauen mit einem finnischen Metal-Schlagzeug-Veteranen über das Leben philosophierte… mehr als spannend.
À la prochaine!
Kerstin
Am Rande: Schwarze Arbeit Gestern hat mir eine Englisch-Lehrerin für Kindergartenkinder von Fluchtübungen erzählt, die sie regelmäßig absolviere. Vom Dach des Kindergartens aufs Nachbardach. Von dort aufs nächste Dach, runter in den dortigen Innenhof, über drei Zäune hinweg auf die Straße. Ein ausgefeilter Erdbebenschutzplan? Angst vor bewaffneten Überfällen? Vor rabiaten Eltern? Schlichte Kinderphobie? Weit gefehlt. Es ist die Angst vor der Polizei, die sie und ihre Kollegen treibt. Englisch schon im Kindergartenalter zu unterrichten, ist hier nämlich seit einiger Zeit illegal. Weil Studien anscheinend gezeigt haben, dass ein solches Treiben wenig bringt, die Kinder sogar eher überfordert. Da die Eltern Taiwans sich da aber nicht ganz so sicher sind, wird hier trotzdem in jedem Kindergarten Englisch unterrichtet. Nur dass eben immer mal wieder die Polizei auf eine kleine Razzia vorbeikommt. Wird man dort als Ausländer beim Englisch Unterrichten erwischt, kann man sofort des Landes verwiesen werden. Also eben ausgeklügelte Fluchtpläne. Oder ausgefeilte Ausreden. Andere Lehrer haben mir von solch genialen Maßnahmen wie vorsichtshalber in der Ecke gestapelten Pizzakartons (ich bin nur der Pizzalieferant, ehrlich!) erzählt. Wie letzteres funktionieren soll ist mir allerdings schleierhaft – wenn 30 Vierjährige daneben stehen und teacher, teacher rufen...
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