Zwei Wochen lang hatte ich Besuch von Sabine und Christof. Da ich leider keine Ferien hatte, konnte ich die beiden nur an den Abenden und an den beiden Wochenenden begleiten. Abends, das hieß vor allem Essengehen und Nachtmärkte bewandern. Und gegessen haben wir, natürlich, es ist ja schließlich Taiwan, viel und vielfältig. Wochenende, das hieß neben vielen Stunden im Reisebus auch rocken auf einem Kellerkonzert, entspannen auf Hängematten am hellen Sandstrand, Schwimmen im Meer und Paddeln auf türkisem Bergsee – und Laternen.
Den Abschluss des chinesischen Neujahrs bildet am 15.01. (nach dem Mondkalender) das Laternenfest. Der Tag wird je nach Ort mit verschiedensten Aktivitäten begangen, deren einzig gemeinsamer Faktor Laternen – oder in Ermangelung solcher wenigstens Feuerwerk sind. In Taiwan sind zwei Orte für ganz besondere Feierlichkeiten anlässlich des Laternenfests berühmt: Yanshui und Pinxi. Letzteres aufgrund sehr traditioneller Feierlichkeiten, ersteres aufgrund sehr… spektakulärer Feierlichkeiten. In Yanshui werden nämlich in Erinnerung an das erfolgreiche Besiegen einer Cholera Epidemie im vorletzten Jahrhundert riesige Mengen an Feuerwerk und Böllern abgeschossen. Soweit noch nicht spektakulär – allerdings werden die Böller nicht in den Himmel, sondern in die (über 100 000 Menschen zählende) Menschenmasse geschossen. Obwohl so gut wie alle Besucher vorsorglich mit Motorradhelmen, Lederjacken über mehreren Lagen feuerfester Kleidung, Handschuhen und zum Teil sogar Schutzschilden ausgestattet sind, sind wohl jedes Jahr ein paar verlorene Augen, Ohren oder Gliedmaßen zu beklagen. Und jedes Jahr werden es mehr Teilnehmer. Die spinnen, die…
Da Sabine eh schon gesundheitlich angeschlagen war und wir ja außerdem so langsam zur vernünftigen Generation gehören (sollten), haben wir uns für die ruhige und traditionelle Variante des Laternenfests im kleinen Ort Pingxi im Norden Taiwans entschieden. Dort werden tausende riesiger Papierlaternen nach dem Heißluftballonprinzip in den Nachthimmel entlassen. Auf jeder den Göttern entgegen schwebenden Laterne steht ein Wunsch für das neue Jahr – oder auch gleich mehrere. Ein Himmel voll glühender Wünsche, eine künstliche Milchstraße menschlicher Hoffnungen: ein Ereignis, das zum Träumen anregt. Allerdings hatten in diesem Jahr nicht nur wir Lust auf Träumen, sondern noch 250 000 anderen Menschen, darunter auch der taiwanesische Präsident Ma Ying-Jeou höchstpersönlich. Ruhig war es also nicht. Und so ganz entspannt auch nicht. Stehen auf einer Laterne zu viele Wünsche, oder ist der Wunsch unverhältnismäßig, wird die Laterne von der göttlichen Schwerkraft zurück zur Erde geholt. In Pingxi schienen in diesem Jahr viele Leute nicht zu wissen, was ihnen zusteht. Und so malerisch eine Laterne am Himmel ist, ein mannshoher Papierballon mit Feuerantrieb ist in einer extrem dichten Menschenmenge weniger willkommen. Manche Teilnehmer versuchten zudem, ihren Wünschen bei den Göttern mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, indem sie Feuerwerkskörper an ihre Laternen hefteten und diese mitten in der Menge zündeten. Um das Ganze noch ein bisschen abwechslungsreicher zu machen, führt auch noch die Zuglinie nach Pingxi mitten durch das Hauptveranstaltungssträßchen. Ca. alle halbe Stunde wurde die Menge daher noch gedrängter, während Besucher versuchten, rechtzeitig von den Gleisen herunterzukommen. So richtig langsam fuhren die Züge nämlich nicht.
Trotzdem oder auch gerade deswegen war das Laternenfest wirklich sehenswert. Besonders beeindruckt haben mich neben dem erleuchteten Nachthimmel die Taiwanesen selbst. Trotz der Menschenmassen blieben alle freundlich und fröhlich. Und auch das mehrstündige Anstehen am späten Sonntagabend, um einen der Busse oder Züge zurück nach Taipei zu erwischen, wurde nicht nur gleichmütig akzeptiert, sondern die Stimmung blieb durchweg gut.
Selbstverständlich haben auch wir eine Laterne gezündet. Es wundert mich allerdings ein bisschen, dass sie es tatsächlich in den Nachthimmel geschafft hat, war sie doch ziemlich schwer beladen mit allerlei Wünschen von Weltfrieden bis Weltmeisterschaft.
Unter der Woche haben wir dann abends noch eine Laternenausstellung anderer Art in Taipei angeschaut. Hunderte riesiger Laternen, aus bunten Stoffplanen zusammengenäht, strahlten um die Wette. Von allerlei Tigervarianten (wir haben ja schließlich das Jahr des Tigers) bis Spongebob Squarepants in Übergröße war alles dabei.
Dass man im Übrigen aufpassen sollte, was man sich wünscht, hat eine meiner Mitstudentinnen im letzten Jahr erfahren müssen. Zusammen mit einigen ihrer Kollegen hatte sie sich gewünscht, dass auch endlich mal ein Taifun in den Süden Taiwans kommen solle. Schließlich solle nicht immer nur der Norden Taifun-frei bekommen. Der letztjährige Taifun Morakot war allerdings dann doch etwas viel…
Nun bin ich wieder allein hier in Taipei, und meine beiden Besucher müssen sich wieder an deutsche Temperaturen gewöhnen. Viele Grüße an dieser Stelle – es war schön mit euch!
Kerstin
Am Rande 1: A propos geduldiges Schlangestehen. Drüben auf dem Festland sieht das ganz anders aus. Schlangestehen gehört definitiv nicht zu den chinesischen Tugenden. Mitstudenten, die vor den olympischen Spielen in Peking studiert haben, haben mir allerdings von sehr langen, gesitteten Schlangen überall in der Stadt erzählt. Die allerdings nirgends hinführten. Was zunächst mysteriös erscheint, entpuppt sich schnell als besondere Maßnahme der chinesischen Regierung. Einmal im Monat wurde an öffentlichen Orten das Schlangestehen geübt. Teilnehmern wie Zuschauern sollte damit im Vorfeld der Spiele zivilisiertes Benehmen beigebracht werden. Inwiefern das Konzept Erfolg hatte, kann ich leider nicht berichten.
Am Rande 2, ausnahmsweise: Taiwan hält einen traurigen Rekord: es ist momentan das Land mit der weltweit niedrigsten Geburtenrate. Vielleicht sollte sich das Land von seinen Nachbarn inspirieren lassen? Das südkoreanische Gesundheitsministerium beispielsweise hat eine geniale Maßnahme ins Leben gerufen, um der ebenfalls extrem niedrigen Geburtenrate im Lande entgegenzusteuern: Einmal im Monat werden Mittwoch Abend um 19.00 alle Lichter im Ministerium ausgeschaltet, um Angestellte dazu zu bringen, früh (schon um sieben…) nach Hause zu gehen und sich fortzupflanzen. Kein Witz.
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