Es ist Halbzeit. Vor knapp sechs Monaten bin ich in einer unüberschaubar großen, chaotischen und vor allem fremden Stadt angekommen. Inzwischen ist mein Taipei nicht nur geschrumpft und zumindest etwas geordnet, sondern zu einer Heimat geworden. Ich fühle mich wohl in dieser Stadt, in diesem Land. Taipei ist eine bunte und lebendige Stadt, ständig in Bewegung, gleichzeitig fühle ich mich hier so sicher als wäre ich in einer süddeutschen Kleinstadt. Vielleicht sogar sicherer. Außer aufgrund wild kurvender Taxis oder Mopeds auf der Straße kenne ich kein Gefühl der Mulmigkeit, fühle mich zu jeder Tages- und Nachtzeit gut aufgehoben.
Wenn ich einen Taiwanesen frage, was an Taiwan und vor allem Taipei besonders toll sei, bekomme ich gut wie immer als eine der ersten Antworten, Taiwan sei so fangbian, so praktisch. Vor einem halben Jahr fand ich das eine ziemlich unromantische Beschreibung. Es klang für mich ein bisschen danach, als würde meinen Gesprächspartnern kein so richtig positives Adjektiv einfallen. Inzwischen ahne ich jedoch die wahre Relevanz von fangbian. An jeder Ecke drängen sich kleine Restaurants und Stände, die Köstlichkeiten aller Art verkaufen. Ich brauche nur aus meiner Haustür stolpern und habe sofort eine breite und günstige Auswahl an frisch zubereiteten Köstlichkeiten. An jeder Ecke steht ein 7-11, eine moderne Art Tante-Emma-Laden mit erweitertem Tankstellenshop-Sortiment. Diese Läden sind 24 Stunden lang geöffnet und häufig in Sichtweite voneinander.
Nicht nur 7-11-Läden sind jedoch rund um die Uhr offen, sondern auch manche Supermärkte, wie zum Beispiel der direkt unten neben meinem Hauseingang. Außerdem verschiedene Restaurants, in der ganzen Stadt verteilt – bei weitem nicht nur MacDo und co. Die Kneipe gegenüber von meinem Haus, in der man auch kickern oder lecker Nachos essen kann. Selbst der größte Buchladen der Stadt, der auf sieben labyrinthenen Etagen zum stundenlangen Schmökern einlädt (auch auf Englisch oder sogar Deutsch), schließt seine Türen nie.
Will ich der Schlaflosigkeit und Betonhaltigkeit der Stadt für eine Weile entfliehen, setzte ich mich in die U-Bahn oder einen Stadtbus und fahre in weniger als einer Stunde an den Meereshafen in Danshui, in die Berge des Yangmingshans-Nationalparks oder zu den heißen Quellen und türkisfarbenen Bergflüssen in Wulai. Will ich noch weiter weg, gehe ich zu einer der vielen Fernbusfirmen und steige in den nächsten Fernbus. Diese Busse mit Fernsehsesselsitzgröße fahren für wenig Geld alle größeren oder auch kleineren Städte Taiwans im 10 bis 30 Minuten Takt an.
Insgesamt alles besonders schön für so Menschen wie mich, die nicht so gerne ewig lange im Voraus planen.
Neben Bequemlichkeit zeichnet sich Taiwan für mich aber auch durch eine Sache aus, die ich nur immer wieder betonen kann: Die Taiwanesen. Wer den Laternenfestbericht gelesen hat, weiß, wie geduldig sie sind (wenn sie nicht gerade ein motorisiertes Gefährt unter dem Hintern haben). Viele Menschen hier strahlen fröhliche Ruhe aus, neben geduldig sind sie hilfsbereit und freundlich und häufig entwaffnend ehrlich. Sehen Taiwanesen einen Ausländer wie mich, sind sie meist besonders hilfsbereit. Manchmal werde ich dafür zwar nicht ganz für voll genommen, aber selbst das kann bisweilen entspannend sein.
So viel zu meiner Liebeserklärung :)
Pünktlich zur Halbzeit hat mir Taipei im Übrigen noch das herbeigezaubert, was mir bisher zu meinem Glück hier fehlte: auf meinem Nachhauseweg von der Uni hat ein neues Geschäft aufgemacht: Oma Ursels deutsche Bäckerei. Mit echtem Brot. Brötchen. Brezeln. Laugenwecken (!). Berlinern. Apfelstrudel. Das war ein Gelage, sage ich euch!
A propos bequem und nicht so gerne planen: Diese Woche hatte ich meine Abschlusspräsentation für dieses Quartal. Meine eine Woche Semesterferien wollte ich eigentlich mit Bergsteigen und Wandern verbringen. Leider habe ich am Donnerstag aber erfahren, dass der Nationalpark, in den wir wollten, aufgrund von Schneefall bis auf weiteres komplett abgesperrt ist. Nach erstem Frust haben wir uns gestern jedoch schnell umorientiert… und so fliege ich NACHHER mit einem Kommilitonen für den Preis einer Bahnfahrt von Freiburg nach Hamburg für eine Woche nach KOREA. Ich brauche wohl kaum erwähnen, dass ich unglaublich aufgeregt bin? Und werde natürlich berichten!
Da ich gleich zum Flughafen muss, breche ich an dieser Stelle ab und schicke liebe Grüße nach Deutschland und in die Welt!
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