Vor zwei Wochen hatten wir im Sprachzentrum einen
klassisches Chinesisch Tag. In traditionelle (wenn auch nicht klassische) chinesische Trachten aus verschiedenen Dynastien gehüllt, trugen einige von uns im klassischen Chinesisch verfasste Gedichte vor. Jeder hielt zudem eine kleine Ansprache (zum Glück in modernem Chinesisch) in der jede(r) seine persönliche Beziehung zum ausgewählten Stück Text darzulegen versuchte. Ich habe ein Gedicht aus der Tangzeit gewählt, im 8. Jahrhundert vom allround-Künstler
Wang Wei verfasst:
das Lied vom Pfirsichblütenfluss. An Literatur Interessierte können sich
hier das Gedicht (mit englischer Übersetzung
anschauen. Alle anderen können sich einfach über die an diesem Tag entstandenen Bilder freuen!
Ansonsten habe ich letzte Woche nicht nur meine Midterm-Prüfungen, sondern auch noch das chinesische Äquivalent zum englischen TOEFL-Test (also einen standardisierten Sprachtest) hinter mich gebraucht und bin dementsprechend erschöpft. Das dritte Quartal im intensivst-Intensivkurs hier zehrt an mir. Die Krankheitsquote unter meinen Kommilitonen steigt exponentiell. Auch ich bin jetzt erst, drei Wochen nachdem ich krank geworden bin, so langsam wieder gesundheitlich auf der Höhe. Ein typischer Tag aus der letzten Woche: 6 Uhr aufstehen, letzte Hausaufgaben machen, wiederholen. 8-12 Uhr: 4 mal hintereinander Intensivkurs, das heißt 4 Lehrer, 4 Lehrbücher. 12-13 Uhr: Vortrag im Sprachzentrum auf Chinesisch, nebenher Verzehren eines von der Schule gestellten Mittagessens. 13-23 Uhr Hausaufgaben, Lernen in einem Café oder der Bibliothek. Dazwischen kurze Abendessenspause. Nach Hause, Wäsche waschen, Aufräumen, ähnliches. Zwischen 24 und 1 Uhr ins Bett. Oder auch noch mal wiederholen. Und wieder von vorne.
Da ich unter derartigen Umständen nicht besonders viel berichtenswertes erleben konnte, werde ich stattdessen versuchen, eine Frage zu beantworten, die sich nach Lektüre des obigen Absatzes aufdrängen mag, bzw. die mir auch schon mehrfach gestellt wurde: WARUM?? Warum tust du dir das an? Und auch: warum ist das nötig, du lernst doch schon so lange?
Ich werde mit der zweiten Frage beginnen:
Was das Chinesischlernen so schwierig macht:
1. Die vollkommene Andersartigkeit der Sprache
Jemand der bisher noch nie eine außereuropäische Sprache gelernt hat, kann sich häufig nicht vorstellen, wie verschieden menschliche Sprachen sein können. Beim Lernen des Chinesischen geht das von den für uns nicht intuitiven aber bedeutungsunterscheidenden Tönen der Wörter über eine völlig andersartige grammatischen Struktur bis hin zu einer für uns fremden Logik im Aufbau von Texten. Selbst der Wortschatz stellt ein größeres Hindernis als bei vielen anderen Sprachen dar. Dieser ist nicht nur extrem groß, sondern auch extrem fremd, das heißt: wirklich jedes Wort muss erlernt werden. Es gibt so gut wie kein Wort, das man schon aus der eigenen Sprache kennt, keines, dessen Bedeutung man erahnen kann, weil man so was ähnliches schon einmal in einer anderen Sprache gelernt hat. Das mag auf den ersten Blick nicht dramatisch klingen, daher ein Beispiel zur Erläuterung:
Nach zwei Semestern Russisch mit lediglich vier (wenn auch intensiven) Stunden Unterricht pro Woche konnte ich (mit Lexikon natürlich und sehr langsam aber immerhin) einigermaßen gut normale Texte lesen. Klausurinhalt waren beispielsweise Texte Lenins zur Maisproduktion. Das liegt nicht daran, dass ich besonders toll bin, sondern daran, dass das Russische wie die meisten anderen Sprachen auch sehr viele Begriffe der Moderne mit dem Deutschen teilt. Im Chinesischen ist das leider sehr selten der Fall. Weshalb man nach einem Jahr Chinesisch mit 4 Stunden die Woche auch noch nicht besonders viel kann.
Selbst die ganzen –ismen, die auch hier im Diskurs häufig sind, müssen neu erlernt werden, von Kapitalismus (Russisch kapitalism, Chinesisch zibenzhuyi, über Kommunismus (Russisch kommunism, Chinesisch gongchanzhuyi) bis hin zu Utilitarismus (Russisch utilitarism, Chinesisch gonglizhuyu). Allerhöchstens noch westliche Genussmittel lassen sich direkt übersetzen, so heißt ein Cappuccino auch auf Chinesisch kabuqinuo. Selbst westliche Namen sind allerdings meist so stark eingechinesischt, dass man sie nicht unbedingt wieder erkennt. So sind weder Kang de, Mei ke er noch Shi wei yin shi tai ge unmittelbar als Kant, Merkel oder Schweinsteiger zu erkennen...
2. Die Schrift
In den letzten dreitausend Jahren hatten die Menschen in China sehr viel Muße, sich neue Schriftzeichen auszudenken. Dementsprechend finden sich in vollständigen modernen Lexika über 50 000 verschieden Schriftzeichen. Nicht Wörter, Schriftzeichen. Davon werden in der modernen chinesischen Schriftsprache allerdings nur noch 5000-6000 regelmäßig gebraucht – mehr muss ein einigermaßen gebildeter Mensch hier daher auch nicht beherrschen. Um eine Zeitung lesen zu können, genügen sogar schon 3000 Zeichen, um nicht als Analphabet zu gelten lediglich 2000. Allerdings – auch 2000 Zeichen erfordern schon so einiges an Merkaufwand. Manche Zeichen sind ja noch ganz einfach, andere dagegen erfordern sehr viel mehr Übung (siehe Beispiel). Es gibt bestimmte Prinzipien, nach denen Zeichen aufgebaut sind, die das Merken erleichtern, so haben beispielsweise ähnliche ausgesprochene Wörter manchmal (!) einen gemeinsamen Bestandteil. Das sind jedoch alles nur Eselsbrücken, selbst ein chinesischer Gelehrter kann bei einem ihm unbekannten Zeichen weder mit Sicherheit sagen, wie es ausgesprochen wird, noch was es bedeutet.
3. Die RedewendungenNeben Redewendungen a la „Morgenstund hat Gold im Mund“ gibt es im Chinesischen noch eine gesonderte Kategorie Sprichwort, die sogenannten
Chengyus (uebersetzt sowas wie
Sprache werden). Diese bestehen fast immer aus vier Schriftzeichen und ihre Besonderheit liegt darin, dass sie viel formelhafter und viel stärker fester Bestandteil der Sprache sind, als es Sprichwoerter in unserem Sinne sind. Manche werden wie Nomen gebraucht, andere wie Adjektive, andere wie Verben. Vor allem in gehobenen geschriebenen Texten, wie z.B. Tageszeitungen, aber auch in der gesprochenen Sprache sind diese
wie Sand am Meer zu finden. Im Gegensatz zum Deutschen zeugt ihre Verwendung von gutem Stil.
In der Kürze liegt schließlich die Würze. Da sie überwiegend aus dem klassischen Chinesisch stammen, entspricht haeufig weder die Bedeutung der einzelnen Zeichen noch die grammatische Struktur des ganzen Sprichworts der modernen Sprache. Selbst allerdings wenn man das klassische Chinesisch lernt, erschliesst sich die Bedeutung der Chengyus nicht unbedingt. Viele Chengyus zitieren klassische Texte, man muss daher die Geschichte oder den Mythos dahinter kennen, um das Sprichwort verstehen zu koennen.
Es gibt also keine Hilfe, man muss sie einfach auswendig lernen – wie das im Übrigen auch die Schueler hierzulande tun. Da ist nicht nur
aller Anfang schwer. Damit kann man sich ein ganzes Weilchen beschaeftigt halten – je nach Zählart gibt es im modernen Chinesisch 5000-20 000 solcher Chengyus (Im
Wiktionary finden sich knapp 1000 Stück mit englischer Übersetzung, auf einer
chinesischen Seite sind
11522 Stück gelistet).
Gut Ding will schließlich Weile haben. Ein Beispiel:
chu chu cao cao – woertlich etwa Ort-Ort-
Name-
anderer Name. Heißt aber so viel wie ein Mensch, der ständig misstrauisch ist.
Chinesisch ist also schwer und das Lernen mühevoll. Wozu also das Ganze?
Warum ich das Chinesische so liebe:
1. Die vollkommene Andersartigkeit der Sprache
Eine neue Sprache zu lernen, eröffnet immer eine neue Welt. Wie viel aufregender aber ist diese Welt, wenn die Sprache die man lernt, einer völlig anderen Logik als die der eigenen Sprache folgt? Aus einer ganz anderen Tradition stammt? Ich spüre jeden Tag meine Gehirnzellen neue Verbindungen knüpfen, fleißig dabei, neue Pfade für meine Gedanken zu bauen und alte Hindernisse einzureißen.
2. Die Schrift
So schwer es auch sein mag, sie zu erlernen – allein schon aus ästhetischen Gründen lohnt sich. der Aufwand. Hinter jedem einzelnen Schriftzeichen stehen zudem Jahrhunderte, Jahrtausende an Bedeutung. Ein ganzes philosophisches Gebäude kann in einem einzigen Zeichen verkörpert werden. Chinesische Kalligraphie als Verbindung zwischen Kunst und Philosophie versinnbildlicht dies auf wunderbare Weise. Wenn ich dabei bin, Texte von Konfuzius und Zeitgenossen zu entschlüsseln, in denen jedes Zeichen eine weite Bandbreite an Bedeutung mit sich trägt, reisen meine Gedanken mit den Schriftzeichen weit in die Vergangenheit. Zusätzlich haben die Schriftzeichen auch einen Beigeschmack von visuellem Puzzlespiel, zumindest für mich Ausländerin, und machen daher einfach Spaß. Zusätzlicher Pluspunkt: da die Schriftzeichen unabhängig von Aussprache auch eine Bedeutung in sich tragen, sind Chinesische Texte über Dialektgrenzen hinweg verständlich – was gerade im dialekt- und sprachreichen China sehr praktisch ist. Und nicht nur das: auch Sprachgrenzen können durchbrochen werden. So besteht zum Beispiel die japanische Schrift aus einer Mischung zweier japanischer Alphabete plus einer Auswahl an chinesischen Schriftzeichen. Obwohl das Japanische eine völlig andere Sprache als das Chinesische ist, kann ich einem geschriebenen japanischen Text anhand der Schriftzeichen oft entnehmen, worum es ganz grob geht.
3. Die Redewendungen
So anstrengend das Lernen der ganzen Chengyu auch sein mag, sie bereichern die Sprache unglaublich. Mit lediglich vier, dazu haeufig noch nach Wohlklang zusammengestellten, Silben kann man einen ganzen Berg an Bedeutung vemritteln. Das Spielen mit Chengyu gibt der Ausdrucksfaehigkeit Tiefe. Und nein, sie machen die Sprache nicht steif, gerade das Spielen mit Ihnen, das Austauschen eines einzelnen Zeichens, das absichtliche Verwenden im falschen Kontext, erlaubt jede Menge Sprachwitz. Gerade wo ich zur Zeit dabei bin, das klassische Chinesisch zu lernen, beeindruckt mich die Schwere der Jahrhunderte bzw. Jahrtausende, die hinter den Begriffen steht. Gerade eben habe ich ein Sprichwort in einem Text entdeckt, das unmittelbar aus einer Konfuzius Rede stammt, die von dessen Schülern vor weit über 2000 Jahren aufgezeichnet wurde und die wir heute morgen im Unterricht gelesen haben (Welches n.b. soviel bedeutet wie: wenn drei Menschen zusammen sind, kann ich von mindestens einem der anderen beiden etwas lernen.). Für die Lateiner unter euch mag das nach altem Hut klingen, mich beeindruckt aber nicht nur die Geschichte, sondern vor allem die Lebendigkeit dieser Tradition. Und dass beispielsweise ein Konfuzius Text nicht nur über Jahrtausende, sondern auch über Kulturgrenzen hinweg verständlich sein kann, gibt dem Lernen zusätzliche Motivation.
Natürlich, hinter einer Sprache steht auch immer eine Kultur. Meine Begeisterung für dieselbe habe ich aber denke ich in den vergangenen Einträgen oder in persönlichen Gesprächen schon zu Genüge kund getan… Ich freue mich bei jedem gelernten Wort, dass sich mir nun ein weiterer kleiner Teil dieses riesigen Kulturraums erschließt.
Zur Feier des halben Quartals und der überstandenen Prüfungen sind wir letzten Sonntag auf einen dreitägigen Uni-Ausflug ins Herz Taiwans gereist, wo der Geburtstags Mazus, der Schutzpatronin Taiwans, gefeiert wurde. Darüber berichte ich in Bälde! Der nächste Eintrag wird also wieder ein Erlebnisbericht wie gehabt, keine Sorge
Liebe Grüße in die Welt!
Kerstin
PS Kleines Gesundheitsupdate für die, die sich sorgen: Nach der Ohnmacht aus dem letzten Eintrag geht es mir wieder gut. Ich war eine gute Woche außer Gefecht, aber nach diversen Arztbesuchen mit Blutuntersuchung, EKG, EEG, sowie Hals-Ultraschall steht fest: es war wohl nichts weiter Dramatisches und bleibende Schäden außer zwei angeknacksten Zähnen gibt es nicht.
: Was Taiwan gerade bewegt: Lin Yu Chun, ein rundlicher junger Mann mit Topfschnitt und roter Fliege, der Whitney Houstons Klassiker „I will always love you“ in einer taiwanesischen Talentshow à la
vorgetragen hat. Manche Kommentatoren meinen, er singe dabei besser als Whitney selbst… ob dem so ist oder nicht – er ist damit quasi übernacht nicht zu einer weltweiten Sensation geworden.
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