Neulich habe ich an einer von der Uni organisierten Kaffeefahrt teilgenommen. Da bei knapp 35 Grad selbst der verwirrteste Rentner kein Interesse an Heizdecken hätte, wurde uns stattdessen ein Produkt ans Herz gelegt, dass für Bewohner einer Stadt mit gefühlten 350 Regentagen pro Jahr eine Gottesgabe ist: der Regenschirm. Getarnt wurde das ganze (kaffeefahrtzielgruppengerecht?) als Pilgerfahrt.
Mazu, Meeresgöttin und quasi-Schutzpatronin Taiwans, habe ich in diesem Blog schon mehrfach erwähnt. Bevor sie Göttin wurde, war sie ein normales Mädchen (wenn auch mit übernatürlichen Kräften), weshalb sie auch einen Geburtstag hat: den 23. Tag im 3. Monat des chinesischen Mondkalenders (um das Jahr 960 herum). Dieser wird in vielen Orten Taiwans groß gefeiert, besonders große Feierlichkeiten finden an einigen wenigen für die Gläubigen wichtigen Orten statt. Einer davon ist Beigang – eine Kleinstadt im Westen der Insel, in der einer der ältesten und wichtigsten Mazu-Tempel Taiwans steht. Zu diesem Anlass also hatte das Sprachzentrum eine 3-tägige Reise organisiert, bzw. von einem externen Veranstalter organisieren lassen. Die Reise war relativ günstig, umfasste dementsprechend (?) diverse Zwischenstopps in an der Autobahn gelegenen Tee- oder anderen Spezialitätengeschäften – sowie besagter Regenschirmfabrik. In jener wurden uns von einer enthusiastischen Dame Regenschirme aller Couleur detailreich vorgestellt. Sogar den größten Regenschirm Taiwans konnten wir bestaunen, so groß, dass mein momentanes Zimmer mindestens 10mal darunter passen würde.
Wäre ja alles nicht so schlimm und eher zum Lachen, wenn den Veranstaltern darüber nicht das eigentliche Ziel der Reise aus den Augen geraten wäre. So kam es, dass wir an Mazus Geburtstag Tee kauften, Schirme bewunderten und Bleistiftbehälter aus Weihrauchton bastelten (selbst für einen Bastelfan wie mich Zeitverschwendung... vor allem angesichts der Tatsache, dass die allermeisten Teilnehmer in wenigen Wochen nach Hause fliegen) – und erst abends um 10 Uhr (!) in Beigang ankamen. Nur weil der Busfahrer sehr nett war und seinen Feierabend nach hinten verschoben hat durften wir wenigstens bis 11 Uhr (!!) bleiben. Lange vorbei war zu dieser Zeit der vor allem von kostümierten und tanzenden Kindern bemannte buntlaute Wagenumzug sowie der Großteil des als typisch geltenden Gebölleres. Auch die Gläubigen, die im Trance allerlei für Außenstehende äußerst schmerzhaft erscheinende Praktiken ausüben, waren schon erschöpft nach Hause gegangen. Es war dennoch absolut sehenswert. Wenn auch der Großteil der Festivitäten vorbei war, viele Besucher und somit die Stimmung waren auch um 10 Uhr noch da. Wir haben zum Glück noch das Ende einer Tempelprozession mitbekommen, in welcher Mazu mit viel Geleit in einer Sänfte von Tempel zu Tempel getragen wird. Wir haben den hell erleuchteten Tempel bestaunen können, einige Götter furchterregend tanzen sehen und uns vor den letzten riesigen Teppichen aus Böllern in Sicherheit gebracht, in deren Mitte die Gläubigen stehen bleiben um ihr Gottvertrauen oder ihren Mut zu beweisen. Und, um fair zu sein: nachmittags haben wir in einem anderen Örtchen (Lugang) schon einen kleinen Teil einer Mazu-Prozession mitbekommen, völlig verpasst haben wir die Geburtstagsparty also glücklicherweise nicht.
So unbefriedigend die Reise begonnen hat, letzten Endes war es doch ein wunderbarer Ausflug. Der zweite und der dritte Tag standen nicht mehr im Zeichen Mazus, sondern sollten unseren von Böllerrauch geschwärzten Lungen Erholung bieten. Es ging ins Bergland im Zentrum Taiwans, in ein Waldgebiet (Xitou), das wie 1% der gesamten Insel unserer guten alten National Taiwan University gehört. Wir haben einen Bambuswald besucht, dort aus Bambusschüsseln in Bambusstämmen gekochte Bambussprossen gegessen, mit dem angetrunkenen Besitzer der Gaststätte seine Bambuskanone getestet, allein mit Wasser und mysteriösen Steinen befeuert (kawumm!), sowie Laternen aus Bambus gebastelt. Selbst Unterwäsche aus Bambusfaser hätten wir erwerben können. Wir waren spazieren und sogar richtig wandern, dabei haben es alle sehr genossen, der großen Stadt für ein Weilchen zu entkommen – dazu noch in eine solch ausgesprochen schöne Gegend. Wir haben mit einem Biologen, unseren Bambuslaternen und leider noch 50 anderen Leuten eine Nachtwanderung unternommen, in der wir die heimische Insekten- und (teils giftige) Froschwelt vorgestellt bekamen und als Highlight des Abends, selbstverständlich ohne Laternen, in einen Teil des Waldes gingen, der über und über von Glühwürmchen bevölkert ist. Auf dem Rückweg nach Taipei haben wir schließlich einen Zwischenstopp nahe der Stadt Taizhong eingelegt um dort eine kleine Fahrradtour in leuchtend grüner Umgebung zu unternehmen, was mir ebenfalls sehr gut gefallen hat.
Die Reise wurde also zunehmend besser und ich bin froh, mitgefahren zu sein. Selbst unsere Kaffeefahrt-Leiterin, die uns anfangs wahlweise wie demente Senioren oder Kindergartenkinder behandelte („wie viele Sicherheitsausgänge hat der Bus? Wer kann sie zählen? Als Preis gibt es einen Snack, den alle Kinder in Taiwan gerne essen!“ etc. Es stellte sich im Übrigen später heraus, dass sie hauptberuflich tatsächlich Kindergärtnerin ist), wurde im Lauf der Reise zunehmend ruhiger. Möglicherweise weil ihr Verkaufsziel erreicht war? So genervt alle waren, die Rechnung der Veranstalter ist aufgegangen: sehr viele von uns haben nicht nur Tee oder Kekse sondern auch einen Schirm gekauft, manche auch zwei oder drei. Ich muss gestehen, auch ich konnte nicht widerstehen (der Schirm war einfach zu niedlich und klein, er passt sogar in meine Handtasche!).
Kerstin
Am Rande: Politiker hier scheinen wesentlich emotionaler als anderswo… Nicht zum ersten Mal hat Ende April eine Debatte im Parlament zu Handgreiflichkeiten unter den Abgeordneten geführt. Diese Mal gab es mehrere Verletzte und eine Ohnmächtige. Das Thema diese Mal: sollen Studenten vom chinesischen Festland an taiwanesischen Universitäten zugelassen werden?
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