Bevor ich nach Taiwan aufgebrochen war, hatten viele Freunde versichert, dass sie mich bestimmt besuchen kommen würden. Ich habe mich über diese Absichtserklärungen gefreut, sie aber nicht allzu ernst genommen. Der gute Wille ist das eine, die Hürden Zeit und Geld und das Überwinden des Alltagstrotts das andere. Nachdem im Laufe des Jahres schon drei Freunde hier gewesen waren, dachte ich mein Besuchsguthaben sei erschöpft. Da schrieb ein Freund, er wolle seine lange gehegten Besuchspläne nun endlich verwirklichen. Kurz darauf meldete sich eine andere Freundin und sagte, auch sie wolle mich besuchen kommen. Im nächsten Gespräch wurde ein dritter Freund mit eingeplant. Schließlich meldete sich noch ein vierter bei mir – ob er denn auch mitkommen dürfe? Für Begeisterung gilt dasselbe wie für die Freude – in geteilter Form erst wächst sie zu ihrer vollen Größe heran. Wie euch treuen Lesern inzwischen bekannt sein dürfte, begeistert mich diese Insel und ich teile diese Begeisterung auch sehr gerne mit anderen. Ich freute mich also nicht nur darauf, so viele meiner Freunde endlich wieder zu sehen, sondern auch darauf, Taiwan durch ihre Augen neu zu entdecken und ihnen allen vieren unterdessen zumindest ein Fünkchen meines Enthusiasmus einzupflanzen.
Zwei Wochen reisten wir also zu fünft um die Insel. Wenn ich unsere gemeinsame Zeit in einem Wort zusammenfassen müsste, wäre es dieses: Wasser. Von uns zugleich gesucht und verflucht, übte es eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf uns alle aus und war zugleich der größte Stimmungsdämpfer. Wir suchten nach Abkühlung von der subtropischen Schwüle Taipeis, nach Bergflüssen, die türkise Magie versprachen. Wir suchten das Meer, den friedlichen Ozean, den einige von uns noch nie gesehen hatten.
Wir fanden verdichtetes Wasser in Form von Wolken und Nebel, wir begegneten den Ausläufern eines Taifuns, der uns tagelang Wasser von oben bescherte und das Meer derart aufpeitschte, dass uns die taiwanesische Regierung selbst das Betrachten desselben aus Entfernung verbot. Wir fanden reißende Schlammströme, wo Tage zuvor die Sonne strahlend klare Wasserläufe beschienen hatte. Und nicht zuletzt fanden wir jede Menge Schweiß, erst unter der unerbittlichen Sonne der Glasglocke Taipei, dann unter den unverzichtbaren Regenponchos der Taifunsaison. Wir lernten, über die uns immer wieder begegnenden Sätze Sonst ist es hier wunderschön, wärt ihr doch nur vor zwei Tagen hier gewesen, wenn ihr doch nur dort hin könntet, wo es gerade wegen der Erdrutsche gesperrt ist zu lachen.
Wir fanden aber auch dampfende Quellen, die unsere vom Regenwandern beanspruchten Muskeln aufwärmten und entspannten. Wir fanden Wasserfälle klein und groß, die sich als schmaler Strahl auf direktem Weg tief ins Tal herabstürzten oder im Wald versteckt als wuchtige Kraft elefantengroße Felsen umspülten. Im ältesten Teehaus Taipeis entdeckten wir die Ruhe, die in ein paar Blättchen Tee und jeder Menge kochendem Wasser liegt. Selbst die ersehnten türkisen Wasserläufe haben wir am Ende gefunden und ausgiebig erkundet, eine Freude die allerdings für manch einen von der unermüdlichen Beteuerung unseres Flussguides getrübt wurde, den schönsten Teil des Flusses bekämen wir heute gar nicht zu sehen.
Ansonsten tat ich mein allerbestes, um die vier in die Vielfalt der in Taiwan vorhandenen Küchen einzuführen. Um das in knapp zwei Wochen bewerkstelligen zu können, schlemmten wir am laufenden Band. Scharfer Hotpot und scharfe Szechuan Küche, Auberginenberge, Austernomelettes, mit Algen umwickelte Reistaschen, Reisbrei mit Trockenfleischfasern, Eis aus roten Bohnen, süße Bohnensuppe, Wasserspinat mit Knoblauch, Gongbao Hähnchen, Schweineblutkuchen, Suppe mit Entenblut, Sojamilch mit und ohne frittierte Youtiao, Tofu von „stinky“ bis getrocknet, frische Muscheln und Krabben (für manch einen zum ersten Mal), jede Menge Fisch, tropisches Obst von Mangos über Pomelos bis Buddhaköpfe, und natürlich Teig- und Nudeltaschen bis zum Abwinken: Baozi, Mantou, Shuijiao, Hundun, Xiaolongbao… Die Mutigeren haben sich schließlich noch tapfer durch das Labyrinth der hier beliebten Eistee-Sorten, wahlweise auch mit Stärkebobbeln, Wackelpudding, Süßkartoffelgelee und ähnlichem darin, geschlagen.
Selbstverständlich haben wir nicht nur gegessen, sondern haben neben Wandern und Schwimmen auch alles andere unternommen, was man als ordentlicher Tourist in Taiwan so anzustellen hat – darunter Besuch des Nationalen Palastmuseums, einer Karaokebar, einer taiwanesischen Oper, Besuche zahlreicher Tempel, eines Fußmassageladens, mehrerer Nachtmärkte. Selbst das besonders bei ausländischen Studenten beliebte 7-11-Lotto haben wir gespielt – bei dem in jeder Filiale besagter Ladenkette, die zufällig am Wegrand liegt, ein Bier konsumiert werden muss. Erst so wird einem richtig bewusst, wie allgegenwärtig diese Läden sind.
Nicht nur ich habe jedoch in eine Kultur eingeführt, auch die vier haben es geschafft, mich mit Skat und Bier und Ironie für zwei Wochen in die deutsche Lebenswelt zurückzuversetzen. In einem wunderschönen Restaurant direkt am stimmungsvoll beleuchteten Flussufer in Xindian haben wir schließlich das hier gängige deutsche Stereotyp vervollständigt: wir haben zusammen eine überraschend leckere Schweinshaxe gegessen. Für vier von uns fünfen übrigens die erste unseres Lebens.
Liebe Grüße in die Welt hinaus, dazu ein ganz besonders lieber Gruß an Christine, Christoph, Emanuel und Roland!
Kerstin
Am Rande: In Sanzhan, einer kleinen Siedlung taiwanesischer Ureinwohner an der Ostküste der Insel, übernachteten wir in einem Gästehaus, von einem älteren Ehepaar betreut. Selig erzählt der Mann von früher, jedes Jahr sei er mit seinem Motorrad zwei Wochen lang um ganz Taiwan gefahren. Er kenne jede Straße der Insel, sogar noch aus der Zeit, in der es nur Schotterpisten gab. Damals habe er in einer Kleidungsfabrik gearbeitet, deren Maschinen allesamt aus Deutschland und der Schweiz kamen. Besonders lustig seien die deutschen Ingenieure gewesen, die manchmal zu Besuch kamen. Sie seien sehr fleißig gewesen, hätten Tag und Nacht gearbeitet. Sehr dick seien sie auch gewesen, und das, obwohl sie mittags nichts gegessen hätten, nur Taiwan Bier getrunken. Unser Gastgeber kann sein Lachen nicht mehr zurückhalten, als er schließlich pantomimisch darstellt, wie sehr die deutschen Bierbäuche im Weg gewesen seien, als unten an den Maschinen Einstellungen nötig wurden.
Kommentare